Streitgespräch

Kürzen, streichen, schließen: Das Haushaltssicherungskonzept liegt auf dem Tisch und wird heftig debattiert. Bis Ende Juli haben Verwaltung und Politik noch Zeit, darüber zu verhandeln und das 540-Millionen-Euro-Loch zu stopfen – sonst droht ein »Zwangshaushalt« vom Land. Hat Schwarz-Grün Alternativen zum sozialen und kulturellen Kahlschlag? StadtRevue lud den Finanzexperten der Grünen, Jörg Frank, und Jendrik Scholz von Attac zum Streitgespräch.

StadtRevue: Durch Beteiligung der Grünen an der Koalition sollte Köln ein sozialeres Gesicht bekommen. Im Moment sieht es aus, als ob das Gegenteil passiert. Viele Vorschläge der Verwaltung bedeuten faktisch das Aus für etliche soziale Einrichtungen.

Jörg Frank: Man muss unterscheiden zwischen der Vorgehensweise der Verwaltung, die verpflichtet ist, einen Haushaltssanierungsvorschlag zu machen, und dem, was dann politisch entschieden wird. Bei fast 540 Millionen Euro Defizit ist es jedoch illusionär zu glauben, dass in Köln der Status quo erhalten werden kann. Zu Beginn dieser schwarz-grünen Koalition habe ich gesagt, dass wir hier in eine Notstandssituation eintreten und nicht in eine Art Reform-Ära der finanziellen Zugaben.
Jendrik Scholz: Schwarz-Grün versucht, den schwarzen Peter der Verwaltung zuzuschieben. Wir von Attac halten das für unredlich gegenüber der Bevölkerung und den direkt Betroffenen. Die haben keine Lust, sich weiter von Ihnen gegeneinander ausspielen zu lassen. Es ist in dem schwarz-grünen Kürzungsprojekt kein Konzept erkennbar. Die Verwaltung ist, angehalten durch den Oberbürgermeister, mit der Rasenmähermethode vorgegangen. Jedes Dezernat hat bestimmte Kürzungsvorschläge umgesetzt und mehr oder weniger die einzelnen Etatposten zusammengestrichen.
Frank: Die Verwaltung ist politisch nicht identisch mit der jeweiligen Stadtratsmehrheit. Die Ratsmehrheit selbst muss sehen, wie sie damit umgeht: Entweder schafft sie es, ihre politischen Prioritäten im Rahmen des Einsparziels abzubilden, oder sie kapituliert. Bei einer nicht genehmigungsfähigen Haushaltssicherung greift letztlich dann die Aufsichtsbehörde ein – so simpel ist das.

Was ist die Alternative zur Verwaltungsvorlage?

Frank: Unsere Vorstellung ist, die Schwerpunkte auf Kernaufgaben zu legen. Wir diskutieren zurzeit, wo wir die Prioritäten setzen und daraus ergeben sich dann Schwerpunkte im Sozial- und Jugendbereich, im Bereich Schule und Migration. Da wollen wir die Leistungen und Maßnahmen stärken, die übrigens zum Teil auch durch Selbsthilfe erbracht werden. Das ist unverzichtbar, um in Köln ein Mindestmaß an sozialer Infrastruktur aufrecht zu erhalten. Wesentlich wird auch die Erhaltung des KölnPasses sein.

Halten Sie bürgerschaftliches Engagement für die Lösung?

Frank: Der Gedanke von Subsidiarität und bürgerschaftlichem Engagement...
Scholz: Das ist doch bloß eine Metapher für Sozialabbau!
Frank: ...ist nicht neu. Wir sind keine Partei der realsozialistischen und entmündigenden Vollversorgung, wo der Staat alles regelt. Unsere Grundvorstellung ist immer gewesen, bestimmte kommunale Aufgaben und Leistungen auch in Selbstorganisation zu bewerkstelligen. Dafür gibt es Zuschüsse in Form einer Basisfinanzierung, die von den Institutionen selbstständig verwaltet werden muss. Da es sich um öffentliche Zuschüsse handelt, muss es natürlich ein Controlling geben, ob effizient gehandelt wird. Das ist eine moderne Form, wie sich kommunale Aufgabenerledigung zukünftig abspielen soll.
Scholz: Alle Untersuchungen zeigen aber, dass nur finanzstarke Bevölkerungsgruppen mit überdurchschnittlichen Bildungsabschlüssen, mit sozialem und kulturellem Kapital bürgerschaftliches Engagement erbringen können. Die Armen und Bedürftigen können sich keinen schwachen Staat, keine schwache Stadt leisten. Diese Menschen werden bei Ihrer Politik vernachlässigt. Das ist originär liberale Politik – das müssen Sie ehrlicherweise zugeben.
Frank: Ob solche Begrifflichkeiten hier Sinn machen, bezweifele ich. Die Frage ist doch, wie sich bei maroder Finanzlage und Krise der Sozialsysteme eine moderne Gesellschaft entwickeln kann...

Nochmal zu den Kürzungen: Herr Scholz, dass der Sozial- und Jugendbereich geschont werden soll, müsste Ihnen doch gefallen.

Scholz: Wenn die Grünen behaupten, den Sozial- und Jugendbereich als einen Schwerpunkt gestalten zu wollen, ist das ein Widerspruch: Einerseits Notstandsverwaltung, andererseits politisch gestalten? Das sollten Sie mal auflösen, Herr Frank. Die Betroffenen aus dem Jugend- und Sozialbereich sagen, dass unter grüner Ägide ein Paradigmenwechsel in der Sozialpolitik dieser Stadt stattfindet. Unter den Schlagworten Nachhaltigkeit, Subsidiarität und Passgenauigkeit werden Programme präferiert, die auf eine zwangsweise Eingliederung junger Menschen in den Arbeitsmarkt zielen. Zwangsarbeit für Kids zu Niedrigstlöhnen und Sanktionen gibt es in den »Jobbörsen pro Veedel«. Dagegen streichen Sie alle Bereiche zusammen, die sozialpädagogischen und qualifizierenden Charakter haben. Sie fahren den ganzen sozialpflegerischen Bereich radikal zurück. Ist das Ihre Schwerpunktsetzung?
Frank: Ich kann diesen Paradigmenwechsel nicht sehen. Es gibt sicherlich unterschiedliche Haltungen einzelner Einrichtungen und Initiativen. Es ist nahe liegend, dass viele jede Art von finanzieller Einschränkung erst mal abwehren. Als Sprecher einer Initiative würde ich mich vielleicht zunächst auch so verhalten. Es werden Partikularinteressen oft an erste Stelle gesetzt. Aber die Vorstellung, dass Jobcenter und verstärkte Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt eine Erfindung von Schwarz-Grün sei, ist mir neu. Das ist die Politik, die Rot-Grün in Land und Bund seit Jahren fährt und die weitgehend unstrittig ist. Mir fehlt Ihr Gegenmodell.

Sie haben die Schwerpunkte Jugend, Schule und Bildung genannt. Im Koalitionsvertrag ist aber auch Kultur als Schwerpunkt festgeschrieben.

Frank: Richtig, den Bereich freie Kultur habe ich nicht erwähnt, weil die Zielvorgabe im Koalitionsvertrag drinsteht.

Bleibt denn die Politik dabei? Der aktuelle Verwaltungsvorschlag sieht radikalen Abbau im Kulturbereich vor – von den Museen über die Bühnen bis zu der so genannten freien Szene.

Frank: Das wird insgesamt zur Diskussion stehen. Denn Schwarz-grün hat vereinbart, die Zuschüsse für die freie Kultur auf dem Niveau 2002 fortzuschreiben. Und das ist schon ein Kraftakt. Es geht darum, vernünftiger zu verteilen. 43 Millionen allein für die Bühnen und 0,7 Millionen für die freien Theater? Wie ist das zu legitimieren? Bei den hoch subventionierten städtischen Kulturbetrieben muss Wirtschaftlichkeit und Verantwortlichkeit endlich den Ton angeben. Dafür einzutreten hat nichts mit Kulturabbau zu tun, sondern mit dem verantwortlichen Einsatz von begrenzten Ressourcen! Die freie Szene hat kulturell für Köln eine hohe kreative Bedeutung, auch kulturwirtschaftlich. Das wäre mittelfristig ein kultureller Exitus, wenn wir da der Verwaltung folgen würden, da müssen wir eine klare Priorität setzen. Es ist aber zu früh, jetzt einen fertigen Maßnahmenkatalog für die Kulturbetriebe vorzulegen.
Scholz: Sie spielen die unterschiedlichen Bereiche gegeneinander aus: Hochkultur gegen freie Träger, freie Träger gegen den interkulturellen Bereich, den interkulturellen Bereich gegen den Jugendbereich, den Jugendbereich gegen den sozialen Bereich. Sie sind die Antwort schuldig geblieben, was denn genau Ihre Kürzungsprioritäten sind. Sie können sich nicht nur hinter der Verwaltung verschanzen oder dem Fraktions-Procedere als Politiker.
Frank: Wir befinden uns in einem Diskussions- und Auseinandersetzungsprozess, ich kann Ergebnisse nicht vorwegnehmen, so ist das in der Demokratie. Das kommt nicht per Dekret, wir sind ja hier nicht in der Ukraine.
Scholz: Wenn Sie in Verhandlungen reingehen, werden Sie doch Prioritäten haben?
Frank: Die Prioritäten habe ich doch genannt!

Gibt es denn einen Punkt, an dem Sie als Grüne aussteigen und sagen würden, das können wir nicht mitverantworten?

Frank: Wenn wir uns mit unseren Schwerpunkten nicht wiederfinden, könnte es sicherlich zu einer Koalitionskrise kommen. Aber wenn die Ratsmehrheit nicht aus eigener Kraft die Haushaltssicherung gestaltet, dann wird das für sie jemand anderes tun. Dann nämlich geht der Regierungspräsident nach rein finanzwirtschaftlichen und haushaltsrechtlichen Gesichtspunkten vor. Der muss sich nicht mit gesellschaftlichen Interessen und Gruppen auseinander setzen.
Scholz: Attac hat keine Angst davor, dass das Land als Haushaltskommissar auftaucht, weil in dem Moment die Probleme dahin gelangen würden, wo sie hingehören.
Frank: Wohin denn?
Scholz: Auf die politische Landes- und die Bundesebene. Warum fürchten Sie sich davor?
Frank: Ich glaube, dass Attac sich Illusionen macht. Eine Landes- und Bundesregierung beschäftigt sich nicht mit dem Kommunalhaushalt der Stadt Köln. Und wenn eine Bezirksregierung Auflagen macht, dann werden die exekutiert. Das ist doch Träumerei, der Bundestag diskutiert doch nicht, was er beispielsweise von den Kölner Bühnen zu halten hat oder von Jugendeinrichtungen.
Scholz: Die Probleme sind doch in allen Kommunen gleich gelagert. Unsere These ist: Der Kölner Haushalt ist strukturell nicht zu sanieren. Darum brauchen wir eine Politisierung der Diskussion.
Frank: Was heißt das? Soll der Stadtrat kollektiv zurücktreten? Sich auf dem Neumarkt zu einer Solidaritätsdemonstration für Attac versammeln!?
Scholz: Die grünen Mandatsträger im Landtag und Bundestag unterstützen eine Politik, die den Kommunen immer mehr Aufgaben zuweist, aber immer weniger Geld, diese Aufgaben auch zu erfüllen.
Frank: Natürlich brauchen wir eine Gemeindefinanzreform! Aber Ihre Attac-Strategie ist eine Mischung aus Träumerei und Realitätsblindheit. Die wirtschaftliche Krise, die auf strukturell defizitären öffentlichen Haushalte lastet, und die Kosten der deutschen Einheit, die wir schon zehn Jahre tragen und noch weitere zehn Jahre tragen müssen, sind Faktoren, die sich nicht einfach außer Kraft setzen lassen. Ich hätte gerne ein paar Vorschläge, wie die sich außer Kraft setzen ließen. Wir sind immer lernfähig. Ich habe sie bis jetzt noch nicht gehört.
Scholz: Gerade weil privater Reichtum und öffentliche Armut zwei Seiten derselben Medaille sind, müssen die Grünen sich endlich der Diskussion über Verteilung und Verteilungsgerechtigkeit stellen. Sie weigern sich aber als Grüne in Köln, im Land und im Bund, in diese Diskussion einzutreten. Die grünen Vorschläge zur Agenda 2010 gehen über das, was der Bundeskanzler dieser Gesellschaft zumutet, weit hinaus. Sie sind neoliberaler, unsozialer und gehen mehr zu Lasten der Kommunen als das, was die Sozialdemokraten dieser Gesellschaft zumuten.
Frank: Ich halte das für eine bloße Ansammlung von Schlagworten. Mit Umverteilen allein wird’s einfach nicht gehen...

Herr Scholz, wenn die drohenden Kürzungen ein solcher sozialer Kahlschlag sind, warum gelingt es Attac Köln dann nicht, den Widerstand zu bündeln?

Scholz: Wir stehen mit dem »Kölner Sozialforum« am Anfang eines Formierungsprozesses, bald werden neue politische Akteure die Bühne dieser Stadt betreten. Das kann sich äußern in Bürgerbegehren gegen die Kürzungs- und Privatisierungspolitik von Schwarz-Grün, etwa gegen Cross Border Leasing, das von den Grünen faktisch mitgetragen wird, nicht nur beim Kölner Wasser, auch im Messebereich und bei der KVB. Ich prophezeie Ihnen: Es wird sich Widerstand formieren, der Schwarz-Grün herausfordern wird – spätestens vor der nächsten Kommunalwahl.
Frank: In der Attac-Positionen entdecke ich keine Alternative und keine Perspektive. Das ist mir alles zu religiös: Es wird wieder darauf gewartet, dass ein revolutionäres Subjekt zum Vorschein kommt. Die Diskussion kenne ich aus den 70er Jahren, die Ergebnisse sind bekannt. Stadtpolitisch wäre das ein verkappter Aufruf zur Kapitulation, weil man nichts unternimmt, außer dagegen zu sein. Und wenn man sich für etwas ausspricht, dann muss man auch erklären können, wie man das finanzieren will. Konstruktive Politik ist gefragt.
Scholz: Erhöhen Sie die Hebesätze bei der Gewerbesteuer doch endlich auf das Frankfurter oder Münchener Niveau von 500 Prozentpunkten, und die Hälfte des Kölner Haushaltsdefizits ist weg!
Frank: Das ist bei der derzeitigen Tiefe der Krise Unfug! Es sind 607 Millionen Euro Einnahmen aus Gewerbesteuer in 2004 prognostiziert, in 2003 sind es 586 Millionen Euro. Wahrscheinlich ist, dass derzeit keine wirklich relevante Mehreinnahme zustandekäme. Über die Gewerbesteuerumlage muss zudem die Stadt einen Teil ihres Aufkommens an den Bund abführen. Das ist alles viel komplizierter, da verdienen andere mit...
Scholz: Sie erklären uns, dass das Jugendzentrum X und die Soziale Beratungsstelle Y unbedingt geschlossen werden müssten – und gleichzeitig klassifizieren Sie Einnahmen aus Gewerbesteuererhöhungen als Peanuts ab?
Frank: Da wir nicht verhindern können, dass Gewerbesteuerzahler die Stadt verlassen, und da wir ein Interesse haben, Investoren nach Köln zu bekommen, muss ich mir genau überlegen, inwieweit jetzt eine solche Operation Vorteile hat. Vor allem in der jetzigen Krisensituation. Mittelfristig – das heißt im Zeitraum bis 2006 – wird eine Gewerbesteuererhöhung notwendig sein, gerade auch dann, wenn die Bundesreform nicht greifen sollte. Aber in diesem Jahr nicht. Das wäre kontraproduktiv.

Hört man CDU und Grüne, gewinnt man den Eindruck, der marode Haushalt wäre eine Art unausweichlicher Naturkatastrophe. Es gibt aber auch Großprojekte, die miserabel geplant wurden und Millionenenverluste erzeugen, wie das Kulturzentrum Neumarkt...

Frank: Diese Fehlentscheidungen von SPD/CDU haben wir immer kritisiert: Mantelbebauung Kölnarena, Rathaus Deutz, Mediapark, VOX-Debakel in Ossendorf und vieles mehr. All die Großprojekte haben finanziellen Schaden erzeugt, der nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Man muss daraus auch lernen, dass diese Finanzkrise eine echte Chance sein kann. Es ist der geringste Vermögenshaushalt, den Köln je gehabt hat. Insoweit ist auch wenig Investitionsvolumen da, um Blödsinn zu machen. Trotz der externen Effekte durch Bund und Land sind mindestens 30 Prozent der Kölner Krise hausgemacht. Das belegen die kommunalen Großprojekte und die Verschleuderung von kommunalem Vermögen. Auch die SPD-Ära Heugel/Ruschmeier bis Anfang dieses Jahrtausends muss jetzt bezahlt werden. Köln hat über seine Verhältnisse und vom Vermögensverzehr gelebt.
Scholz: Attac warnt davor, die öffentlichen Investitionen unter dem Druck der Haushaltsmisere auf Null zu reduzieren. Wir brauchen dringend öffentliche Investitionen in die Infrastruktur in Köln. Besonders in den Bildungsbereich. Man muss sich nur mal die maroden Schulgebäude anschauen. Wer heute nicht investiert, wird morgen höhere Folgekosten haben. Spätere Generationen werden das dann bezahlen müssen. Es sei denn, man verabschiedet sich davon, für alle Bevölkerungsgruppen ein vernünftiges Bildungsangebot zur Verfügung zu stellen. Aber die großen Prestigeprojekte gehören auf den Prüfstand. Dazu gehört auch die öffentliche Finanzierung der privaten kommerziellen Massenkultur. Die öffentliche Subventionierung des neuen Stadions und damit der Gehälter der Fußball-Millionäre ist ein Skandal.
Frank: Bei öffentlichen Investitionen ist grundsätzlich wegen der Verschuldung eine zurückhaltende Politik angesagt, in der jetzigen Situation geht es vor allem um Erhaltungs- und Sanierungsmaßnahmen, da spielt der Schul- bzw. Bildungssektor mit die größte Rolle. Das sehe ich auch so. Mehr Spielräume wird es bei der öffentlichen Finanzierung kaum geben. Eine Art Animationspolitik über extensive öffentliche Investitionen ist nicht der richtige Weg. Das ist genau der Fehler der letzten Jahrzehnte, zu glauben, darüber könnte man eine wirtschaftliche Ankurbelung erzielen. Im Kapitalismus muss die Investitionstätigkeit im Wesentlichen von privaten Unternehmen geleistet werden und nicht über ausufernde Subventionen vom Staat.