»Die Aura des Originals kann man nicht fassen«

Der Kölner Dokumentarfilmer Arne Birkenstock hat einen Film über den Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi gedreht — ein Gespräch über Täter, Opfer und die Verantwortung des Kunstmarkts

Im Vorspann Ihres Films steht: »Ein Film mit Wolfgang und Helene Beltracchi«. Wie viel Einfluss hatten die beiden auf den fertigen Film?

 

Die Formulierung bedeutet einfach nur, dass sie die Protagonisten sind. Als Sohn ihres Anwalts stehe ich natürlich unter besonderer Beobachtung, wenn ich einen Dokumentarfilm über sie mache. Deswegen war für mich von Anfang an Bedingung, dass es kein Abnahmerecht für Wolfgang und Helene Beltracchi gibt. Sonst hätte ich den Film nicht gemacht. Aber natürlich nehmen Protagonisten immer Einfluss auf einen Film: Das geht damit los, dass sie die Entscheidung treffen, was sie erzählen und was nicht. Aber ich finde, Wolfgang Beltracchi ist vor der Kamera sehr authentisch. Mir war wichtig, dass er im Film so rüberkommt, wie ich ihn erlebe: charmant, aber auch schnodderig, witzig, aber auch großspurig und manchmal ein wenig prollig.

 

Im Film wirkt er schon recht sympathisch.

 

Er ist im wirklichen Leben ja auch ein witziger und charmanter Typ. Man erlebt im Film aber auch seine Hybris. Mir war wichtig, dass er nicht unwidersprochen damit durchkommt, wenn er sagt: Meine Fälschungen haben den gleichen künstlerischen Wert wie die Originale. Ich kann mich schlecht dazu aufschwingen, zu entscheiden, was Kunst ist und was nicht, aber der Unterschied im Arbeitsprozess sollte klargemacht werden. Natürlich ist es etwas ganz anderes, wenn ich mich wie Beltracchi hundert Jahre später hinsetze und einen schon bewährten, vom Markt und Experten anerkannten Stil imitiere. Das kann man nicht gleichsetzen mit jemandem, der neue künstlerische Wege geht, ohne zu wissen, ob etwas funktioniert. Das kenne ich ja von mir selbst, wenn ich im Schneideraum sitze. Wie viele Filme schneide ich, bis ich endlich die Fassung habe, die dann der fertige Film ist? Der künstlerische Prozess hat anders als bei Beltracchi auch mal mit Verzweiflung, mit Suche, mit nicht wissen, wie es weiter geht, zu tun.



Ich finde dennoch, dass Ihr Film zwar nicht dem »Künstler« Beltracchi, aber dem Lebenskünstler auf den Leim geht.Dem würde ich widersprechen. Können Sie das erläutern?

 

Da fallen mir spontan zwei Beispiele ein: Meiner Meinung nach stützt die schmissige Rockmusik, die häufig im Off spielt, wenn Sie ihn zeigen, seine Selbstdarstellung als cooler outlaw. Und der Schnitt des Films suggeriert, dass sein Betrug keine Opfer hatte. Es gibt aber kein Verbrechen ohne Opfer. Wir verwenden im Film eigens komponierte Rockmusik im Stile der 60er und 70er Jahre. Das ist nun mal die Art von Musik, die er selbst immer gerne gehört hat. Es kommen im Film verschiedene Opfer zu Wort: Sammler, Galeristen und Auktionatoren. Das sind natürlich alles keine Menschen, die eine existentielle Not durch Beltracchi erleiden mussten. Diese Leute zu betrügen ist völlig zu Recht strafbar, aber — anders als der Familienvater, der von einem Finanzbetrüger um sein Einfamilienhaus gebracht wurde — sie entsprechen nicht dem Bild, das wir aus anderen Zusammenhängen von Opfern haben und wirken dementsprechend auch in einem Film anders.



Aber wenn Beltracchis Gemälde von Museen gekauft werden, oder wenn Versicherungen ihren Schaden dadurch ausgleichen, dass sie ihre Policen erhöhen, wird letztlich die Allgemeinheit geschädigt.

 

Das stimmt. Aber es gibt im Film zum Beispiel diese Sequenz, in der Beltracchi neben seiner Tochter sitzt, auf eine Max-Ernst-Fälschung zeigt, und sagt: »Weißt du, was schade ist? Dass ich da keine Million mehr für kriege.« Und dann folgt diese sehr schnell geschnittene Montage seiner Privatfotos: alles azurblau, alles Palmen, alles Luxus. Ich brauche da keinen moralisierenden Off-Kommentar, der mir erklärt: Da ist aber einer größenwahnsinnig geworden und hat vergessen, wessen Geld er ausgibt. Für mich ist das selbsterklärend.



Was hat Sie außer der schillernden Figur Beltracchi noch an dem Fall interessiert?

 

Im Film werden viele Fragen mitverhandelt, die sehr spannend sind. Zum Beispiel: Was ist ein Original, was eine Fälschung? Beltracchi hat ja keine Kopien angefertigt und die Aura des Originals ist ja etwas, was man nicht wirklich fassen kann. Es ist ja nicht so einfach, wie es sich manche Experten gemacht haben, die die Bilder erst als Meisterwerke gelobt haben, und kaum war klar, es sind Fälschungen, waren es dann plötzlich die letzten Gurken. Man kann ja schon fragen: Was ist denn jetzt eigentlich anders? Das finde ich spannend gerade in unserer Zeit, wo man im Bereich Film oder in der Musik ja tatsächlich Eins-zu-Eins-Kopien in Sekundenschnelle herstellen kann.

 

Es geht in Ihrem Film auch um den aufgeblasenen Kunstmarkt.

 

Der Film will auf keinen Fall den Opfern die Schuld in die Schuhe schieben, aber man muss ja leider feststellen, dass der Kunstmarkt und viele der an diesem Skandal Beteiligten es Beltracchi nicht besonders schwer gemacht haben. Da taucht plötzlich, wie aus dem Nichts, eine Sammlung auf, in der sich nicht nur ausschließlich spektakuläre, sondern auch ausschließlich verschollene Meisterwerke befinden, und da fragt keiner nach? Die selbstkritische Auseinandersetzung des Kunstmarkts mit diesem Fall findet kaum statt. Entweder wird Beltracchi verteufelt, was ich für falsch halte, oder er wird zum Genie erhoben, was ich ebenso für falsch halte. Wenn ich es als Kunstmarkt wahlweise mit dem Teufel oder mit einem Genie als Gegner zu tun habe, dann kann ich nichts dafür und muss auch mein Verhalten nicht ändern. Dann hat der Markt nichts falsch gemacht.