Das Biest in ihr

Zerfallsstudie: Im August in Osage

County von John Wells

Wer glaubt, Meryl Streep hätte in »Der Teufel trägt Prada« alles gegeben, was an Biest in ihr steckt, sollte sich »Im August in Osage County« ansehen. Dabei könnte man mit ihrer Violet zunächst durchaus Mitleid empfinden: Jahre­lange Tablettensucht haben an Körper und Seele deutliche Spuren hinterlassen. Das graue Haar ist nach Chemotherapie nur unvollständig nachgewachsen. Dann verschwindet auch noch ihr Mann Bev (Sam Shepard) spurlos, und schon bald stellt sich heraus, dass er sich das Leben genommen hat. Aber Violet ist eine Frau, die man nicht lange bedauern kann. Vom Zorn zerfressen attackiert sie jeden, der ihr zu nahe kommt, und beim Beerdigungsmahl kriegen alle ihr Fett ab. Das gilt besonders für die drei Töchter, von denen jede auf ihre Weise durch die kaputten Familienverhältnisse gezeichnet ist.

 

Die älteste, Barbara (Julia Roberts), kennt Violets manipulative Fähigkeiten nur zu gut und bietet ihr erbarmungslos Paroli. Dass sie dabei der Mutter ähnlicher wird, als ihr lieb ist, vertieft nur den Graben zwischen den beiden Frauen. Ihre jüngste, Karen (Juliette Lewis), musste bis nach Florida flüchten, um dem familiären Einfluss zu entkommen, während die mittlere, Ivy (Julianne Nicholson), es aus Osage County nie weggeschafft hat. Aber in der Trauer um den verlorenen Ehemann auch die Versöhnung mit den Töchtern zu suchen, kommt Violet nicht in den Sinn. Das Essen ist noch nicht auf den Tellern, da geht sie schon auf Konfrontationskurs.

 

Basierend auf Tracy Letts vielfach ausgezeichnetem Theaterstück entwirft Regisseur John Wells (»The Company Men«) mit »Im August in Osage County« ein Familiendrama, das es in sich hat. Schonungslos werden hier die dysfunktionalen Beziehungsstrukturen aufgebrochen, und seit »Wer hat Angst vor Virginia Woolf« hat man selten derart spektakuläre Zerwürfnisse auf der Leinwand gesehen. Dabei lässt Wells die Angelegenheit nie zur One-Women-Show für Meryl Streep werden, sondern gewährt allen Figuren ihren eigenen Entfaltungsspielraum. Julia Roberts verabschiedet sich hier wieder mal eindrücklich von ihrem Sweetheart-Image. Aber auch in Nebenrollen verleihen Chris Cooper, Margo Martingale oder Dermot Molroney ihren Figuren eine enorme Intensität. »Im August in Osage County« erinnert daran, dass das eigentliche Kapital des amerikanischen Kinos nicht der Starrummel, sondern die Qualität der Schauspieler ist. Und wer sich dieser Ressourcen zu bedienen versteht, kann aus einer recht trübsinnigen Familienzerfallsstudie ein Fest für Kinofans zaubern.