Gut gemeint

Nico Dietrich präsentiert in »Das Boot ist voll« einen Faktenrausch über das Elend des Asyls

Sie kommen, die Ausländer. Sie springen aus dem Boden oder seilen sich von der Decke ab. Über einen Maschendrahtzaun robben sich vier ins gelobte Deutschland. Der Einstieg bildet ein paranoides Klima ab, als knubbelten sich an den Außengrenzen die Flüchtlinge nur so, um endlich einwandern zu können. Doch die größte Hürde kommt für sie erst: die Einwanderungsbehörde.

 

Dramaturgin Inken Kautter und Regisseur Nico Dietrich haben sich in ihrem neuen Doku-Stück das Flüchtlingsregime vorgeknöpft. In »Das Boot ist voll« erheben die beiden eine aufklärerische Stimme für die mehr als schwierige Situation von Asylsuchenden und Geflüchteten. Man fragt sich nur, wer aufgeklärt werden soll. Das die deutsche »Willkommenskultur« stinkt, ist kein Geheimnis.  

 

Wie bei ihrem Vorgängerprojekt über Sicherheitsverwahrung haben Dietrich und Kautter wieder Interviews geführt. Zahlreiche Gespräche mit Politikern, Aktivisten und Geflüchteten verdichten sie zu einer theatralen Collage, in der die Schauspieler ständig die Rollen wechseln. Auch wenn sich das eher als gut gespieltes Vortragstheater im Trockenwaschgang darstellt, ist immerhin jedes Wort echt. Sermin Kayik gibt mal eine Akten stempelnde Beamtin, mal die glühende Amnesty-International-Anhängerin. Hingegen verteidigt Oleg Zhukov als nervöser Bundestagsabgeordneter das Dublin-II-Abkommen. Dann gibt es mehr szenisches Fleisch für die Monologe. In einem Aquarium wird Schiffe Versenken gespielt. Aljoscha Sena Zinflou als Mitglied von Cap Anamour stellt die Rettung von afrikanischen Flüchtlingen auf einem überladenen Gummiboot vor Lampedusa nach. An anderer Stelle hören wir von einer Frau über die brutale Gewalt im Bürgerkriegs-Land Äthiopien. Das Lachen habe sie verlernt, ihre Heimat, wirtschaftlich ausgebeutet und politisch entrechtet, vermisse sie dennoch. »Das ist meine Geschichte, ich möchte nicht, dass die im Theater gespielt wird«, hatte sie gesagt und doch wurde sie es.

 

Was will dieses Wirklichkeitstheater damit zeigen? Uns, dem linksliberalen Publikum, tut in diesem Faktenrausch nichts weh. Für uns steht nichts auf dem Spiel.  Dabei lassen sich im Theater Situationen inszenieren, die echter sind als jeder Realismus. Die Regie bleibt auf der sicheren Seite. Freundlich lässt sich der Abend abnicken. So ein Wohlfühlen im Wackeldackel-Gleichtakt friert jede Debatte über Einwanderungspolitik ein. Die Frage »Was können wir tun?« stellt sich nicht.