»Der Tod des Analogfilms macht mich traurig«

Ein Gespräch mit Bong Joon-ho über seinen Science-Fiction-Film »Snowpiercer«, der fast komplett in einem Hochgeschwindigkeitszug spielt

Die Graphic Novel »Le Transperceneige«, auf der ihr Film basiert, ist in Deutschland überhaupt nicht bekannt. Wie sind sie auf diesen Band gestoßen?

 

Es war ein glücklicher Zufall. Der Comic hat damals zwar viele Preise erhalten in Frankreich, aber es ist natürlich nicht so bekannt wie »Asterix«. Ich bin selbst ein großer Comic-Fan. Früher habe ich vor allem japanische und koreanische Graphic Novels gelesen, aber mich dann  auch für Werke aus anderen Ländern interessiert. Tatsächlich hat ein kleiner koreanischer Verlag »Le Transperceneige« herausgebracht, dadurch habe ich den Band im Jahr 2005 entdeckt. Schon während der Lektüre wusste ich, dass ich diesen Film machen möchte. Am meisten haben mich der Zug selbst und der Überlebenskampf darin interessiert.

 

Der Zug hat mich auch fasziniert: Züge sind ja keine neue Technologie, sondern eine aus dem 19. Jahrhundert – für einen Science-Fiction erst einmal nicht besonders naheliegend.

 

Science-Fiction hat für mich nicht viel mit Spekulationen über die Zukunft zu tun. Der Zug fährt im Comic ja auch im Jahr 2014 los, also eigentlich in unserer Gegenwart. Es sind dann, wenn der Film einsetzt, noch einmal 17 Jahre vergangen, aber der Zug bleibt ja, was er ist, die Technik bleibt eine vertraute. Wichtig war mir der Zug auch, weil durch die Enge die Actionszenen sehr intensiv wirken, fast barbarisch und animalisch.

 

Die Enge dürfte auch bei der Produktion spürbar gewesen sein. »Snowpiercer« ist ihr erster Film, der hauptsächlich im Studio gedreht wurde.

 

Das war tatsächlich eine große Umstellung, weil ich Drehs an Locations sonst sehr schätze. »Snowpiercer« wurde zu 90 Prozent in einem Filmstudio in Prag gedreht. Wir haben uns da tat­­sächlich wie Bergarbeiter in einer Mine gefühlt und gewitzelt: »Jetzt geht es wieder unter Tage.« Es war natürlich auch eine technische Herausforderung, einen Film, der komplett in einem engen Zug spielt, szenisch so aufzulösen, dass er für das Publikum interessant bleibt.

 

Sie haben »Snowpiercer« noch auf 35mm-Film gedreht und auf computergenerierte Effekte weitgehend verzichtet.

 

Schon das unterscheidet ihn von den meisten neueren Filmen des Genres. Ich habe anfangs gar nicht darüber nachgedacht: Auf der Filmschule wurde mir beigebracht, dass Filme analog gedreht werden, deshalb habe ich das ebenfalls gemacht. Erst im Laufe der Produktion, die mehrere Jahre in Anspruch genommen hat, habe ich wirklich realisiert, dass diese Produktionsweise bald nicht mehr möglich sein wird. Heute macht mich das traurig.

 

Die einzelnen Abteile des riesigen Zugs, in der Reste der Menschheit eine neue Eiszeit überlebt haben, sind sehr aufwändig gestaltet. Sind die Designs aus der Graphic Novel übernommen?

 

Ausgangspunkt war meine Imagination nach der Lektüre. Nur wenige Räume, zum Beispiel das Herbarium, sind direkt aus der Vorlage übernommen.

 

Besonders gut gefallen haben mir die exzessiven, fast hysterischen Szenen im Klassenzimmerabteil. Hatten Sie manchmal Angst, den Bogen zu überspannen?

 

Das Klassenzimmer ist extrem vollgestopft mit Figuren und Geschehnissen. Tatsächlich taucht es ja an einem Wendepunkt der Geschichte auf, auch das Farbschema ändert sich komplett, vorher ist alles düster, dann platzen auf einmal grelle Farben in den Film. Ich habe dabei auch in Kauf genommen, dass das erst einmal wirklich so überdreht wie in einem Kindergarten ist.

 

»Snowpiercer« ist ihr zweiter Science-Fiction-Film nach »The Host«. Was interessiert Sie an dem Genre und wie unterscheiden sich die beiden Filme voneinander?

 

An Science-Fiction interessiert mich gerade der Gegenwartsbezug: Die fantastischen Elemente sind für mich gerade deshalb interessant, weil man mit ihnen etwas an der Gegenwart erkennen kann, das sonst unsichtbar bleiben würde.

 

Die internationale Besetzung des Films ist sehr eigenwillig, Tilda Swinton spielt die Ministerin Mason, der man die Herkunft aus dem Comic besonders stark ansieht. Wie ist der Kontakt zu Swinton zustande gekommen und wie hat sie sich die Rolle erarbeitet? Tilda Swinton schätze ich als Schauspielerin schon lange und ich wusste, dass sie »The Host« gesehen hatte. Kennengelernt habe ich sie 2011 in Cannes. Wir wollten unbedingt zusammenarbeiten, aber es gab zuerst keine Rolle für sie: Mason war eigentlich als Männerrolle angelegt. Das hat aber dann wunderbar funktioniert. Sie selbst hatte sofort große Lust, nicht nur eine derart überzeichnete Figur zu spielen, sondern auch, sich dabei zu verkleiden. Ihr hat alles großen Spaß gemacht: die riesige Brille, die bizarre Frisur. Ich hatte eher Probleme, sie ein wenig im Zaum zu halten.

 



Bong Joon-ho
wurde 1969 in der koreanischen Großstadt Daegu geboren. Er studierte zunächst Soziologie, später Film. Sein Debüt »Hunde, die bellen, beißen nicht« (2000) erhielt auf dem Filmfestival von Hongkong den Preis der internationalen Filmkritik. Seinen kommerziellen Durchbruch feierte er 2006 mit dem Monsterfilm »The Host«, der in seiner Heimat einen neuen Einspielrekord aufstellte.