Coltrane und Kommunismus

»Ida« von Pawel Pawlikowski

Polen in den frühen 60er Jahren: Die Novizin Anna soll demnächst zur Nonne geweiht werden — allerdings verordnet ihr die Oberin, erst ihre Tante Wanda zu besuchen. Die erweist sich als eine beeindruckende Erscheinung: Die Staatsanwältin ist eine urpolnische Kosmopolitin, hoch gebildet, so sinnlich wie sinnenfroh, Jazz-Liebhaberin und Kommunistin. Eine gewisse Schärfe und Prinzipienfestigkeit in der Ausübung ihres Berufs hat ihr offenbar einige Feinde eingebracht, sodass sie in die Provinz versetzt wurde. So hat Wanda genug Zeit, um Anna während dieser Landpartie das eine oder andere über ihre Herkunft zu eröffnen — angefangen damit, dass sie in Wirklichkeit Ida heißt und Jüdin ist.

 

Anna/Ida ist für die Geschichte eher ein Katalysator – die eigentliche Hauptfigur ist Wanda, eine Idealistin, die nicht glaubt, dass die säkulare Askese einer Elite, zu der sie zwar gehört, mit der sie aber immer weniger gemein hat, nötig ist, um eine neue Gesellschaft aufzubauen. Anna will also ein Leben in Weltabgewandtheit führen, Wanda einem solchen entkommen. Ida lernt von Wanda – so viel, dass sie ihren Platz in der Welt scheint einnehmen zu können.

 

»Ida« wurde gedreht in einem unfassbar schönen, aber nicht oberflächlich geschmackvollen Schwarz-Weiß, in einem Format, das kaum ein Kino mehr korrekt vorführen kann: 1,37:1, der 35mm-Tonfilm-Standard. Die Leistungen der Hauptdarstellerinnen Agata Trzebuchowska (einer Laienschauspielerin) und Agata Kulesza (einer etablierten Größe des polnischen Kinos) sind ehrfurchtgebietend. Pawel Pawlikowski eint alle Elemente zu einem formvollendeten Ganzen. Ihm gelingt dies aufgrund seiner makellosen, weil konzentrierten, sich in jedem Bild, jedem Klang auf das Wesentliche bescheidenden Regie.

 

Ganz am Ende, in einer Szene, in der alle Fäden zusammen laufen, wird allerdings die »Internationale« gegen eine Version von John Coltranes »Equinox« geschnitten, die Wanda für Ida im Jazzclub gibt – warum eigentlich, in einer Zeit, da Polen eine Jazz-Weltmacht war? Warum präsentiert Pawlikowski hier als Lösung einen westlichen Linksliberalismus, der letztlich weder Anna/Ida noch Wanda und deren Entwicklung entspricht – aber vielleicht den Vorstellungen und Vorurteilen der heutigen Subventionsverteiler? Wanda ist als Figur politisch letztlich weiter, als wir es heute sind. Sehr bedauerlich, dass Pawlikowski sein meisterliches Werk derart schief ausklingen lässt.

 


Ida (dto) POL/DK 2013, R: Pawel Pawlikowski, D: Agata Trzebuchowska, Agata Kulesza, Joanna Kulig, 80 min. Start: 17.4.