Kritische Masse

Das Moers-Festival zeigt sich einmal mehr rundumerneuert

Die Feuertaufe erfolgt selbstverständlich direkt zu Beginn: Das Moers-Festival zieht nach vier Jahrzehnten Festivalzelt aus dem Moerser Schlosspark in eine ehemalige Tennishalle um. Im Netz kann man den Stand der Renovierungsarbeiten nachverfolgen, jetzt — Mitte März — hat alles schon Kontur angenommen. Ja, die Feuertaufe könnte klappen, wird klappen: Es ist die Bassmasse, das Projekt des Kölner Bassisten und Komponisten Sebastian Gramss, der dafür vier Dutzend Bassisten versammelt und sie durch überraschend filigrane Kompositionen führt. Dieses Projekt zu realisieren stellt alle Beteiligten sowohl musikalisch wie auch logistisch vor großen Herausforderungen. Genau das richtige, um eines der innovativ­sten,  aber auch tradionsbewusst­esten Jazz-Festivals zu eröffnen.

 

Traditionsbewusst, genau: Denn der Auftritt der Bassmasse ist auch eine Hommage an den zu früh verstorbenen Wuppertaler Bassisten und Free-Jazz-Pionier Peter Kowald. Kowald hätte dieses Jahr seinen 70. Geburtstag gefeiert, vor 42Jahren war er einer treibenden Kräfte bei der Initiierung des Festivals vom Niederrhein.

 

Hauptdarsteller dieses Jahr wird aber wohl die Halle selbst, die, was die Durchführung des Festivals betrifft, elegantere Möglichkeiten bietet. Dementsprechend loten die eingeladenen Musikerinnen und Musiker die neu entstandene Bühnensituation in allen Extremen aus — vom radikalen Krach bis zum fast schon klassischen Jazz, von der BigBand bis hin zu Duo-Konstellationen. Tatsächlich sind das die beiden musikalischen Schwerpunkte: Auftritte des großen Sun-Ra-Arkestra (100. Geburtstag!), der Bassmasse, von Paal Nilssen-Loves »Large Unit«, stehen etliche »Schlagzeug + X«-Duos gegenüber: Han Bennink, immer noch einer der explosivsten Schlagzeuger des Jazz, trifft auf den Pianisten Oscar Jan Hoogland, mit Joey Baron und Robyn Schulkowsky treffen zwei Percussionisten aufeinander, Paal Nilssen-Love beweist im Duo mit dem Anti-Gitarristen und Nicht-Sänger Arto Lindsay zu welch ungeahntem drive er in der Lage ist.

 

Höhepunkte? Das Festival sperrt sich eigentlich gegen diese Logik, es müsse alles auf ein, zwei große Stars hinauslaufen. Trotzdem zwei Favoriten — zwei Gitarristen: Marc Ribot, über die Jahre würdevoll zum Urgestein der New Yorker Downtown-Szene verwittert, spielt ausschließlich »Protest Songs«. Nach dem Eröffnungskonzert der Bassmasse wird er ganz alleine die Bühne betreten und behutsam zusammenflicken, was noch zusammenzuflicken ist. Und ganz am Ende des Festivals wird Ava Mendoza, ebenfalls aus New York, die Bühne betreten und mit ihrem ekstatisch-filigranen Krach alles wieder lustvoll brutal auseinandernehmen. Ava Mendoza? Noch nie gehört? Dann wird es Zeit.

 


Fr. 6.6. bis Mo 9.6., Festivalzelt (in unmittelbarer Nähe zum alten Austra­g­ungs-
ort), Filder Str. 140, 47447 Moers, Programm unter moers-festival.de