Illustration: Katrin Stangl

Holz heißt Widerstand

Die Künstlerin Katrin Stangl über das Verhältnis von Holzschnitten und Text, Genauigkeit bei der Arbeit und ungewöhnliche Vorbilder

Schlicht und ganz klar scheinen die Illustrationen zu sein, mit denen die Kölner Künstlerin Katrin Stangl seit 2002 zahlreiche Bücher gestaltet hat und die in ebenso zahlreichen Ausstellungen zu sehen waren. Aber gleichzeitig sind ihre Holz- und Linolschnitte, Lithografien, Siebdrucke und Radierungen von einer tiefen Ernsthaftigkeit, sie verweigern sich dem Dekorativen. So einleuchtend die Bildsprache ist, so wenig naiv ist sie, vielmehr von einer Hintergründigkeit, die ihre Geheimnisse nicht preisgibt. Viele ihrer Arbeiten orientieren sich an der Vorstellungswelt von Kindern, sind dabei aber nicht opportunistisch, die — jungen — Betrachter werden nicht durch Niedlichkeit geködert. Im Gegenteil: Aus ihren Grafiken schaut einen immer etwas Fremdes an. Man kommt ins Grübeln, obwohl doch alles so einfach ist.

 

Katrin Stangl, Jahrgang 1977, hat in Leipzig an der Hochschule für Grafik und Buchkunst studiert — an der derzeit vielleicht bekanntesten Kunsthochschule, weil dort Neo Rauch unterrichtet. Stangls Lehrer ist allerdings auch ein Promi: Volker Pfüller zählt zu den großen Buchkünstlern der DDR. Bekannt wurde Stangl durch ihre Illustrationen für eine Neuauflage des Science-Fiction-Klassikers »Fahrenheit 451« von Ray Bradbury (2002), sie erhielt dafpr den Gestalterpreis der Büchergilde Gutenberg. Weitere Auszeichnungen folgten, aber vor allem zahlreiche Buchveröffentlichungen, zuletzt etwa »Stark wie ein Bär« (2011, Carlsen Verlag Hamburg) und Bilder zu Françoise Sagans »Bonjour Tristesse« (2011, Büchergilde Gutenberg). Seit sechs Jahren lebt sie mit ihrer Familie in Köln. Für unsere aktuelle TagNacht-Ausgabe hat sie das Cover gestaltet und die künstlerische Gestaltung des Heftes übernommen.

 

Frau Stangl, eines ihrer künstlerischen Medien sind Holzschnitte. Das ist heute kein alltägliches Medium mehr, auch nicht für einen Künstler oder eine Illustratorin. Wie ist es gekommen, dass sie, wie Sie mal gesagt haben, zu Ihrem Steckenpferd geworden sind?

 

Mich reizt besonders, wenn es Vorgaben gibt, wenn man nicht alles kann, das Material also einen einschränkt. In Holz kann man eben nur eine gewisse Feinheit erreichen — dann ist Schluss. Mir hilft das bei der Arbeit, jede Einschränkung bedeutet, dass ich mich darauf konzentrieren muss. Ich muss mich dann immer wieder neu organisieren, und das ist eine Herausforderung und macht auch den Spaß an der Arbeit aus. Mich hat bei meinem Studium von Anfang an auch der handwerkliche, technische Aspekt interessiert, wie man druckt, was für verschiedene Drucktechniken es gibt, wie sie die Arbeit strukturieren. Beim Holzschnitt findet ja immer eine Übersetzung der ursprünglichen Zeichnung auf Papier in ein anderes Medium statt.

 

Wie muss ich mir das vorstellen? Arbeiten Sie direkt mit dem Holz? Gibt es eine Vorstufe?

 

Ja, vorab gibt es Skizzen, die variieren in ihrer Genauigkeit, wenn die Schnitte groß sind, sind die Skizzen nicht so genau, da entscheide ich vieles in der direkten Auseinandersetzung mit dem Holz. Dann mache ich Andrucke und entscheide dann, was noch fehlt. Man hat neben dem kreativen Prozess auch noch die handwerklichen Seiten, also das Drucken. Das Kreative bedeutet für mich strenge Konzentration, aber zum Beispiel das Drucken — das hat schon meditative Seiten.

 

Bekannt sind Sie vor allem als Illustratorin. Das ist ja zunächst mal eine funktionale Tätigkeit: Es gibt bereits eine Vorlage, einen Text, der dann bebildert wird. Demgegenüber würden jetzt viele die freie künstlerische Tätigkeit stellen …

 

Ich würde mich auf jeden Fall als Illustratorin bezeichnen. Ich arbeite gerne mit Texten. Das ist wie mit den unterschiedlichen Techniken: Ein konkreter Ausgangspunkt, eine Anstoß und eine Herausforderung. Ich möchte ja was Passendes zu dem Text finden. Mein Arbeitsrhythmus ist ziemlich assoziativ — und langsam, ich bin wohl sehr pingelig. Ich lese den Text, entwickle dazu Bilder und entscheide mich erst sehr spät dafür, wo die einzelnen Bilder im Buch genau platziert werden. Ich arbeite nicht szenisch, deswegen funktioniert das auch. Meine Bilder wollen eine Stimmung abbilden, die Atmosphäre eines Textes aufgreifen. Sie sollen keine Handlungen illustrieren, ich möchte eher was verdichten.

 

Tatsächlich arbeiten Sie aber auch frei. Sie machen Künstlerbücher, drucken Ihre eigenen Editionen, entwickeln eigene Bildgeschichten. Wie kommen Sie auf die Ideen und Motive, wenn Sie frei arbeiten?

 

Ich sammle. Das sind vielleicht kleine Geschichten, die ich aufgeschnappt habe. Alltagserlebnisse, Fundsachen, Themen, die mich interessiert haben, das ist erst mal so allgemein. Und dann fange ich an, mich in das Material zu versenken, es gibt eine Unmenge an Zeichnungen, bis ich zu der gekommen bin, auf der, sagen wir: ein Affe so aussieht, wie er für mich aussehen soll. Ich produziere viel Ausschuss.

 

Wann ist für Sie eine Zeichnung fertig?

 

Da habe ich kein objektives Kriterium. Wenn ich die Gewissheit habe, jetzt kann ich nichts mehr verrücken, so bleibt es. Das ist eine sehr emotionale Angelegenheit.

 

Okay, es gibt vielleicht kein objektives Kriterium, aber formale, handwerklich begründete.  

 

Ich glaube nicht, dass es beim Zeichnen feste Regeln gibt. Im Studium ging es darum, solange auszuprobieren, bis man seine Sprache, seinen Ausdruck gefunden hat.

 

Ihr Lehrer an der Leipziger Hochschule war einer der großen Illustratoren der DDR. Volker Pfüllers Theaterplakate für Brecht-Inszenierungen kennt man auch als Westler. Was lernt man eigentlich beim Altmeister?  

 

Hauptsächlich zu gucken, zu überprüfen, was man da gemacht hat. Ich habe die Fähigkeit gelernt auszuwählen, welche Zeichnungen kann ich wegtun, mit welchen kann ich weiterarbeiten. Das hört sich jetzt ganz einfach an, aber diese Selbstbefragung ist eigentlich sehr schwierig. Und am Ende habe ich natürlich gelernt, wo meine Stärken und wo meine Schwächen sind. Der Unterricht war ganz klar strukturiert — wir haben Aufgaben abgearbeitet, ein Semester Texte illustrieren, ein Semester Theaterplakate. Hört sich auch erst mal simpel an, aber dadurch haben wir die ganze Bandbreite an Illustratorenaufgaben ausprobiert und damit auch alle Techniken. Dadurch haben wir uns überhaupt erst ein Repertoire erarbeitet, einen ersten Fundus an Arbeiten.

 

Haben Sie Vorbilder?

 

Vieles aus dem Bereich, was normalerweise nicht unter dem Label Kunst läuft, aber natürlich künstlerisch ist. Kinderkunst, naive Kunst … meine Diplomarbeit habe ich über Zeichnungen und Bildergeschichten von Psychiatriepatienten geschrieben. Gerade in diesen Arbeiten spüre ich einen Drang, dass da was raus muss, dass etwas unbedingt erzählt werden muss. Das finde ich auch bei Kindern faszinierend, zum Beispiel wollen sie ein Pferd zeichnen, unbedingt, aber sie sind mit enormen Widerständen konfrontiert, sie können nicht eins zu eins das Bild, das sie von einem Pferd im Kopf haben, aufs Papier bringen, und dann müssen sie sich etwas anderes überlegen, um ihre Vorstellungen umzusetzen. Authentizität — das ist so ein abgegriffenes Wort, aber hier trifft es die Sache ganz gut.

 

Wenn Sie auf Ihre ersten zehn Jahre als Künstlerin zurückblicken, was, würden Sie sagen, hat sich in Ihrer künstlerischen Arbeit geändert?

 

Ich bin jemand, der gerne unterschiedlich arbeitet, ich genieße den stilistischen Wechsel, wenn ich ein Projekt abgeschlossen habe. Das ist zwar mühsam, weil ich mich jedes Mal neu ausrichten muss, aber es ist eben auch das, was mich am meisten herausfordert. Ich arbeite mich gerne an etwas ab. Wie ich das mache, hat sich eigentlich nicht geändert. Jedenfalls nicht in dem Sinn, dass ich den Bruch gesucht habe. Bestimmt haben sich Sachen verschoben, aber das ist die Perspektive des Betrachters von außen. Ich denke, dass ich mir treu geblieben bin. Mein großer Anspruch beim Illustrieren ist, dass ich mich auf die Texte konzentriere. Jeder Text verlangt andere Illustrationen, ich selber stehe dabei gar nicht im Mittelpunkt. Und diese Konzentration ist für mich das Tolle an der Arbeit.

 


Katrin Stangl kann man auch in ihrem Atelier in Nippes be­suchen: Atelier Heike Herold?/?Katrin Stangl, Simon-Meister-Str. 15?a, katrinstangl.de.
Sie ist zudem auf dem Festival »Illu14« in den DQE-Hallen (11.–13.4.) vertreten.

Die neue tagnacht ist ab dem 25.4. im Handel