»Nur Füßestrecken reicht nicht«

Studierende der Kölner Hochschule für Musik und Tanz gründen eine Sparte für Schauspiel

Die Hochschule für Musik und Tanz Köln ist einer Millionenstadt angemessen groß und berühmt. Sie steckt aber in finanziellen Schwierigkeiten, vor einem Jahr musste die Tanzabteilung um ihre Existenz bangen. Deren Studierende beweisen derweil kreativen und kritischen Geist. Neuerdings sprießt dort eine ungewohnte Kunstform in den Ritzen des modularen Studienbetriebs aus Tanz und Musik: das Schauspiel — öffentlich, im großen Konzertsaal der Hochschule. Eine neue Generation von Künstlerinnen und Künstlern etabliert sich, die sich nicht mehr nur auf ein Genre festlegen wollen. Einer von ihnen ist der junge Regisseur Mike Hackbarth.

 

In einem Trainingsraum im Hauptgebäude — schräge Decke, verhängte Spiegelwand und Harfenkästen — steht und sitzt er abwechselnd hinter zwei Tischen. Der 29-Jährige setzt die Brille auf und ab, nagt am schwarzen Bügel, ist ganz Ohr und Auge,  saugt aus den vier jungen Leuten vor ihm das Theater förmlich heraus. Das Ensemble probt »Gier« der britischen Dramatikerin Sarah Kane, das sie im Paket mit deren letzten Stück »4:48 Psychose« aufführen werden. Zu Semesterbeginn im Oktober vor zwei Jahren hatten Studenten unter Hackbarths Regie im Hochschulsaal Schillers »Don Karlos« gezeigt. Zehn Minuten Applaus gab es, erzählt er stolz in der kurzen Probenpause.

 

Angefangen habe die »Regie­sache« im italienischen Montepulciano, wo sich Studierende aus NRW jährlich zu spartenübergreifenden Kunst-Projekten treffen. Hackbarth, Student für Klavier und Orchesterleitung und Musik auf Lehramt, führte dort bei einer kleinen Inszenierung zum Thema »Klassik im Theater« Regie. Das sei gut angekommen, auch bei den Professoren, »danach waren die Türen offen«.

 

Hackbarth konnte seine zweite Regiearbeit an der Hochschule starten. Er hat Proberäume und ein bisschen Geld bekommen, um die Rechte an Kanes Stück, Werbung und einen weißen Bodenbelag zu finanzieren. Trotz des Sparzwangs fördere die Hochschule studentische Initiativen, lobt er. Seine vier SchauspielerInnen studieren Schlagzeug, Saxofon, Jazzgesang und Tanz. In den Semesterferien haben sie mit den Proben angefangen, täglich bis zu acht Stunden. Diese Disziplin, das »Üben, Üben Üben« und Auftreten vor Publikum kennen sie von der Musik, denkt man und wundert sich trotzdem, mit welcher Finesse alle vier Sarah Kanes »Ja-Nein«-Konzerte, ihre Gefühls- und Gedankensprünge, -hiebe, -ausuferungen hinbekommen. »Die Stücke brauchen gutes Reinhorchen«, findet der Jungregisseur. Hilft ihm da seine Musikausbildung? Er kenne dadurch ästhetische Grundprinzipien, die er aber nicht eins-zu-eins umsetze. Plant er weitere Stücke in Köln? »Das liegt am Intendanten des Kölner Schauspiels«, lautet die Antwort knapp.

 

Vorerst lehrt Hackbart Grundlagen für Schauspiel im Rahmen des AStA-Angebots; der Andrang ist groß, auch von Tanzstudenten. Die Tänzerin aus dem Kane-Ensemble, Hannah Nürnberger, engagiert sich außerdem im Hochschulsenat. Das berichtet ihre Professorin Vera Sander, Leiterin des Zentrums für Zeitgenössischen Tanz an der Hochschule (ZZT): »Das politische Bewusstsein bei den Studierenden ist in den letzten Jahren gewachsen. Nur Füßestrecken reicht eben nicht.«

 

Lehraufträge einzusparen, dieses Szenario ist längst nicht vom Tisch. Das Studienangebot, das Theorie und Tanzpraxis verschränkt, ist immer noch bedroht — obwohl es in Deutschland einzigartig ist. Praktiker und Wissenschaftler lernen mit- und voneinander. Beim Master »Tanzvermittlung« etwa nehmen Absolventen nicht bloß die übliche Tanzpädagogik mit, sondern ein vertieftes Verständnis von künstlerischen Prozessen und Methoden im zeitgenössischen Tanz. Auch den künftigen Tänzern geben diese Seminare ein wichtiges Rüstzeug, über ihr Tun sprechen zu können. Der Studiengang läuft nächstes Jahr aus.

 

Vera Sander sorgt sich darüber, möchte aber nicht nörgeln. Die Hochschule und das Land NRW seien im Gespräch, wie die Tanzabteilung personell zu stärken sei. Immerhin finanziert das Land nun demontierbare Schwingböden. Doch die Studierenden brauchen angemessenere Räume. Die Tanzstudios in Nippes, die der Stadt gehören, sind marode und müssen dringend saniert werden. Trotz der Probleme lassen sich die Tänzer nicht entmutigen. Zunehmend stemmt das ZZT interdisziplinäre Projekte und vernetzt sich. Renommierte Choreographen unterrichten hier gastweise. »Die kommen gerne und schätzen, dass unsere Studis reflektiert und nah an der Praxis sind«, erklärt Sander.

 

Die Wege der Absolventen führen mal geradewegs in die professionelle Kunst, mal auf Umwegen. Eine schafft es zum Nederlands Dans Theater; ein anderer geht in städtische Kompanien, in freie Ensembles wie CocoonDance in Bonn, MDKollektiv in Köln oder Neuer Tanz in Düsseldorf. Oder sie starten eigene Projekte wie jetzt Ursula Nill in der hiesigen Freien Szene. Darauf werden die Studierenden in speziellen Seminaren vorbereitet. »Uns ist es ein Anliegen, dass sie ihre Arbeiten vorstellen und lernen, Feedback zu geben sowie mit Kritik umzugehen,« erklärt Sander. »Ich hoffe, dass sie das in die Szene der Profis mitnehmen und es als Gewinn ansehen, sich nicht nur zu Krisensitzungen, sondern vor allem zu fachlichen Themen auszutauschen.« Die Professorin selbst macht mit ihrem Institut gerade einen Riesenschritt: Das nächste große biennale Treffen der Tanzausbildungsstätten, das sich dieses Jahr an der renommieren Palucca Schule Dresden erstmals auch international orientierte, findet 2016 an die Hochschule in Köln statt.


»Gier/4.48 Psychose«, A: Sarah Kane,
R: Mike Hackbarth, 3. (P.) bis 5.4.,
Konzertsaal der HfMT Köln, 19.30 Uhr, Der Eintritt ist frei