Berufsbedingt zynisch

Globalisierungs-Kammerspiel:

Zeit der Kannibalen von Johannes Naber

Draußen vor dem Fenster sind nur graue Betonquader zu erkennen, die in den trüben künstlichen Himmel ragen. Eine stilisierte Skyline wie aus dem Bauklotzkasten. Die Welt jenseits des Hotelzimmers, so wird schon in der ersten Einstellung von Johannes Nabers »Zeit der Kannibalen« deutlich, ist nur eine abstrakte Angelegenheit und interessiert die Protagonisten dieses bitterbösen Kammerspiels nicht die Bohne.

 

Ob sie nun in Indien, Pakistan oder Nigeria ihre Geschäftspartner über den Tisch ziehen, spielt für die beiden Unternehmensberater Frank Öllers (Devid Striesow) und Kai Niederländer (Sebastian Blomberg) keine Rolle. Umstrukturierung, Abwicklung, die Erschließung neuer Standorte und Märkte sind ihr Geschäft. Sie sind die Raubritter der Globalisierung. Heuschrecken in teuren Anzügen. In den wohl klimatisierten Luxushotels klingen die nächtlichen Schüsse und Schreie auf den Strassen nur in gedämpfter Weise durch die Thermoverglasung. Da lässt sich der berufsbedingte Zynismus gut pflegen und zwischen zwei Drinks aus der Minibar über Witwenverbrennungen, Jungfrauenbeschneidungen und die Anpassungsfähigkeit von hinduistischen und muslimischen Arbeitskräften philosophieren.

 

»People. Profit. Planet.« lautet das griffige Motto der Beraterfirma, in deren Chefetage Öllers und Niederländer bald aufzurücken hoffen. Aber dann wird ein Anderer zum Partner ernannt und das Duett der eingespielten Handlungsreisenden durch die neue Kollegin Bianca März (Katharina Schüttler) aufgemischt. Die findet den Sarkasmus der beiden eher ermüdend und hat auch noch ein wenig Idealismus im Handgepäck.

 

Wer sich auf das reduzierte, theaterhafte Konzept einlassen kann, wird in »Zeit der Kannibalen« mit einem Film belohnt, der den mentalen Zustand der »global economy« kongenial auf ein dreiköpfiges Figurenarsenal herunterbricht. Die Dialoge von Stefan Weigl sind von intellektueller Präzision und zeigen gleichermaßen die Brillanz und die Armseligkeit des Zynismus, mit dem die professionellen Abwickler ihr Gewissen narkotisieren. Solch ein Drehbuch ist natürlich ein Fest für Schauspieler wie Striesow, Blomberg und Schüttler, die die schillernden Facetten der degenerierten Charaktere gnadenlos ausspielen. Nabers konsequent stilisierende Inszenierung distanziert sich von allen Realismusansprüchen und dennoch ist »Zeit der Kannibalen« so nah an der politischen Wirklichkeit wie schon lange kein deutscher Film mehr.