Frei sollt Ihr sein

Das Brachland-Ensemble inszeniert in zwei ­Premieren Trugschlüsse der Selbstbestimmung

Ins Auto steigen und los. Doch Clyde hat nur noch einen Dollar achtzig. Nicht genug, um mit seiner Bonnie durchzubrennen. Aber er hat eine Knarre. Als Paar ballern sich die beiden so durch, rauben in einer exzessiven Tanznacht Partygäste aus, schwimmen mit den Fischen im Meer und essen Eis unter einem überdimensionalen Cocktailschirmchen.

 

In »Tiere der Nacht« lotet das Brachland-Ensemble die Grenzen der Phantasie aus. Regisseur Gunnar Seidel dreht diese Szenen aus trash­igem Roadmovie und Märchen in eine bewegende, surreale Amour fou, weit mehr als nur eine Adaption des Films. Jan Bopke, ein junger Mann mit Down-Syndrom, spielt den Clyde. Während er wunderbar den coolen Gangstertyp in hautengem Shirt gibt, der immer auch der ewige Junge bleibt, wirbelt Katrin Banse als Bonnie herrlich aufgeputscht durch die gemeinsamen Abenteuer. Doch irgendwann endet jeder Trip. Zusammengekauert sitzt auf einer projizierten Ankla­gebank jetzt nicht mehr Clyde, sondern Jan, der Behinderte, der im Verhör wie ein Kind geduzt wird. Als Nachhall des nächtlichen Rausch bleibt ein Spielzeugauto in seinen Händen. Vom Vorwurf des versuchten Bankraubes wird er wegen Unzurechnungsfähigkeit frei gesprochen. Doch Jans Idee seiner Freiheit ist eine andere. Seidel konfrontiert hier menschlichen Willen mit fremdbestimmter Rea­lität. Ein schlauer Coup.

 

Um Fremdbestimmung dreht sich auch die zweite Kölner ­Premiere des Brachland-Ensembles. Diesmal führt Dominik Breuer Regie. »Diktat« ist eine improvisierte Versuchsanordnung: »Iss auf! Halt die Klappe! Sei innovativ!« Nachdem Breuer und sein Kompagnon so etwas wie ein ABC der Imperative verlesen haben, geht es in die Praxis. A gibt B Befehle, die B ausführen muss. »Steh auf, setz dich, mach Liegestützen!« Im Wechsel führen die beiden sich gegenseitig vor.

 

Leider sehen wir hier nichts über das Diktat einer leistungsorientierten Gesellschaft, sondern eher ein Provokationsspiel unter Freunden. Irgendwann gibt es dann aber doch einen Ausflug auf die Meta-Ebene: Wer Befehle ausübt, bekommt ein Bonbon, wer sich verweigert, wird mit Edding bekritzelt. Später müssen die beiden so lange einen Befehl ausführen, bis der letzte im Publikum die Anweisung aufhebt. Eine harmlose Übung, die wie das Warm-up fürs nächste Projekt wirkt: Ende Mai feiert »Propaganda« Premiere. Dann tritt das Brachland-Ensemble an der Frontlinie des ersten Weltkrieges gegen das nö-theater an.

 

»Tiere der Nacht«, R: Gunnar Seidel
»Diktat«, R: Dominik Breuer, Orangerie, Wiederaufnahme im Herbst