Unsere Theater- und Tanzautoren nennen ihre Sommerblut-Favoriten

Was vor 13 Jahren aus dem Vorhaben entstand, zur Parade am CSD ein an­spruchs­volles Kulturprogramm zu bieten, hat sich längst zu einem hochwertigen Kölner Festival gemausert. So dürften die zwei Sommerblut-Wochen (2.–18.5.) wieder zum Kunstfest am Rhein werden. Aus dem Programm, das unter dem zentralen Thema »Tabu« steht, haben unsere Autoren ihre Fa­voriten gewählt.

Dschingis Khan
Unbehagen im Theater ist ein rares Gut: Wer viel sieht, hakt vieles routiniert ab. Die Sehnsucht
nach einer Irritation, die nicht durch Erhöhung ­traditioneller Reize wie etwa Nacktheit oder ­Fäkalien entsteht, wächst. Da kommt »Dschingis Khan« gerade recht. Drei Menschen mit Down­syndrom, einer Krankheit, die lange unter »mon­goloid« firmierte, spielen Mongolen. Sie führen Rituale und Gebrä­uche vor wie auf einer Weltausstellung anno 1900. Alles geschieht auf die paternalistisch-pä­dagogische Anweisung von Mitgliedern der Gruppe Monster Truck. Und am Ende explodiert die Show. Ist das ein Skandal? Künstlerisch-koloniale Ausbeutung? Und wie steht es überhaupt um die Selbstbestimmung von Behinderten? Endlich mal wieder ein ungemütlicher Abend! (Hans-Christoph Zimmermann)

 

15.5., Orangerie, 20.30 Uhr

 

Sprechende Hunde
Hier muss ich als zweibeiniges Rudelmitglied allein beim Titel grinsen: »Sprechende Hunde«, mit denen hatte uns schon Mops-Lieb­haber Loriot beglückt. Da es in dem Stück um sieben Talkshow-Gäste und eine merkwürdige Moderatorin geht, die die Gäste mit Lebenslügen kon­frontiert, ergibt das hübsche Reibungspunkte und löst Assoziationen aus, die mich neugierig machen. Breiten hier indiskrete Schnüffler die Geheimnisse ihrer Besitzer aus? Hat die Gastgeberin der TV-Runde den richtigen Biss? Und: Wer pisst wem ans Bein? Dass es sich bei dem als schonungslos beworbenen Stück um ein Abschlussprojekt der Theaterakademie handelt, finde ich ebenfalls viel versprechend. Als tierische Spiegel menschlichen (Miss-)Verhaltens hatten die Nachwuchsdarsteller bereits letztes Jahr mit einer Farce nach Sibylle Berg für garstig-grotes­kes Amüsement gesorgt. (Jessica Düster)

 

6., 7.5., Orangerie, 20.30 Uhr

 

Amerika
Franz Kafkas Romane sind großes Kino. Der Roman über den Auswanderer Karl Rossmann, der sich nach eindrucksvollem Karrierestart mit den Niederungen der Arbeiterklasse herumschlagen muss, ist ein Klassiker. Wer ist aber Karl Rossmann? Findet seine Odyssee wirklich statt? Oder ist es die Erinnerung einer zersplitterten Figur, die Kafka in sein aus ­Artikeln, Reiseberichten und Filmen erfundenes Amerika schickt? Spannend, dass sich die Literatur-Oper dem annimmt. Zum einen ist die Fallhöhe bei Kafka-Adaptionen generell hoch. Zum anderen ist es stets ein Wagnis, sich einen dramatisierten Text anzuschauen, den man selbst unheimlich gut findet. Weil dann noch eine musikalische Ebene eingezogen wird, ist das Wagnis so groß, dass mich nichts aufhalten kann, mir das anzugucken.
(Christoph Ohrem)

 

14., 15.5., Freies Werkstatt Theater, 20 Uhr

 

The boy who cries wolf
Zwei Männer, eine Frau, dazu ein ominöser Wolf und anderes Getier. Was mich an dieser sich ausbeulenden Dreiecksgeschichte sofort anspricht:
sie trägt kein Schild vor sich her, um es mir vor den Kopf zu stoßen. Statt Engstirnigkeit, braucht »The boy who cries wolf« unser waches Hirn. Das sieht etwas zerbrechen, lautlos, ohne Erklärung und wie zwei Jünglinge, die einander Brüder oder beste Freunde sind, den Bruch übertünchen. Sie überspielen ihn wie eine Brücke in der Nacht, auf der sich Men­schen verwandeln. Dieses absolut vertraute Miteinander tanzen die Kölner Akrobaten Tim Behren und Florian Patschov­sky von Overhead Project; die junge Israelin und Neu-Kölnerin Reut Shemesh choreographiert. Eine erste Version des wundervollen Duettes zeigten die Künstler
vor einem Jahr im Tanzhaus Düsseldorf. Jetzt ­wolfen sie in Köln! (Melanie Suchy)

 

16., 18.5., KHM, 20 Uhr

 

Justicia Negada
Wenn westliche Theatermacher politische Missstän­­de ferner Länder beackern, beschleicht mich oft das Gefühl der Bevormundung. Diesmal liegt der Fall anders: Regisseurin Perla de la Rosa stammt selbst aus der Stadt, über die sie erzählt. Die Wüste um Ciudad Juárez im Norden Mexikos ist ein Massengrab. Unzählige Mädchen verschwinden in der Grenzregion, werden vergewaltigt und verscharrt. In »El trasatio« (2009) griff der Regisseur Carlos Carrera den Feminizid auf. Selten hat mich ein Film so erschüttert. Die Gruppe Télon de Arena bringt das gewichtige Thema auf die Bühne. »Justicia Negada« erzählt vom Kampf dreier Mütter um Ge­rechtigkeit. Grundlage des Stücks ist deren Prozess »Campo-Algodonero« gegen den Staat Mexiko sowie die mythische Saga Abaddons. Hier geht es nicht bloß um Einzelschicksale, sondern um eine Stadt als rechtlosen Raum für Frauen. (Romy Weimann)

 

3.,4.5., Alte Feuerwache, 20 Uhr, mit deutscher Übertitelung.
Publikumsgespräch jeweils im Anschluss

 

Unterwelt
Als ich nach Köln zog, nahm ich den Ebertplatz nur als riesigen Verkehrsknotenpunkt wahr — mit Gestank und Obdachlosen. Kein Ort zum Verweilen und von mir als Bausünde abgetan. Zufällig geriet ich unten in den Passagen mal in eine Party der Galerie »Labor«. Bässe wummerten, Menschen feierten fröhlich. Die kontra-inspirative Stadtarchitektur war für mich schlagartig Lebensraum. In seiner Gestalt ist der Ebertplatz ein empfänglich urbaner Ort, der vom Teatro Due Mondi aus dem italienischen Faenza und den »Labor«-Künstlern jetzt gemeinsam wachgeküsst wird. Ihre multimediale Collage »Unterwelt« will all die Gestalten und Geschichten aus den Nischen des Platzes an die Oberfläche befördern. Das Beste daran? Jeder kann mitmachen und sich, seine Meinun­gen oder Forderungen in Workshops einbringen. (Oliver Geißler)

 

9. (P.), 10.5., Ebertplatz Passage, 20 Uhr
Workshops: 8. (17–22 Uhr), 9. (11–19 Uhr),
10.5. (17–19 Uhr), Eintritt frei