Der Befremdliche, wohlgeordnet

Malewitsch in Bonn: Die Bundeskunsthalle versucht sich in der

Popularisierung eines eigenwilligen Künstlers

In den an hochfliegenden Utopien und Weltverbesserungsprojekten nicht eben armen ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts war der Russe Kasimir Malewitsch (1879–1935) wohl einer der kühnsten, verstiegensten und wandlungsfähigsten Künstlerköpfe. Die Bundeskunsthalle zeigt das mitunter spröde, aber immer visionäre Werk dieses Klassikers in einer umfangreichen Ausstellung.

 

Vergleichsweise konventionell und zeittypisch hebt das malerische Werk an. In den zehn Jahren vor dem ersten Weltkrieg arbeitete Malewitsch sich durch späten Impressionismus und religiösen Symbolismus. Darauf folgte ein von bäuerlichen Themen geprägter raffinierter Primitivismus, der wiederum von eigenwilligen Varianten des Kubismus abgelöst wurde. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs lieferte er scheinbar naive Propagandabilder. Aber bereits 1913 trieb er mit seinen Kostüm- und Bühnenentwürfen die zeichenhafte Vereinfachung der Körper, des Raums in die Nähe dessen, was 1915 zum Suprematismus führte — ein Urknall der Kunst­moderne.

 

Im Dezember 1915 begann in Petersburg die »Letzte Futuristische Bilderausstellung 0,10«, auf der Malewitsch, damals bereits eine der maßgeblichen Gestalten der Kunst in Russland, selbst seine Kollegen und Freunde mit einer Gruppe von Bildern überraschte, die durch ihre formale Radikalität alles bislang Vorhandene hinter sich zurück ließen. Suprematismus nannte er die von ihm im Alleingang entwickelte Kunstform, die kaum weniger als eine Weltformel sein wollte. Sie beschränkt sich auf einfache geometrische Formen und wenige, symbolisch bedeutsame Farben. Ein schwarzes Quadrat auf weißem Grund — Malewitschs bekanntestes Bild ist die Keimzelle einer revolutionären Kunst, die erstmals vollständig mit der Vorstellung vom Bild als einer Abbildung bricht. In Bonn ist diese Ikone der Ungegenständlichkeit nicht zu sehen, wohl aber andere Hauptwerke dieser Epoche. Mit diesem großen Wurf verbindet Malewitsch einen steilen, quasireligiösen Anspruch, der bereits im Namen Suprematismus — von lateinisch supremus, höchster, oberster, äußerster — anklingt. Andererseits scheute er sich nicht, sein Formenrepertoire in den Niederungen des Nützlichen zu erproben: Neben suprematistischen Stoffmustern gibt es ebenso dekoriertes Porzellan, während seine sich für Auserwählte haltenden Schüler um 1920 eine ganze Stadt in diesem Stil schmückten. Malewitsch beschäftigt sich in den folgenden Jahren mit architektonischen Utopien. Er wähnt den Suprematismus an der Macht, unterrichtet und forscht intensiv.

 

Erst ab 1928, nach mehrjähriger Unterbrechung, widmet sich Malewitsch wieder der Malerei. Und überrascht. In farbintensiven Szenen greift er zurück auf bäuerliche Themen und Darstellungsweisen der Zeit um 1910. Er datiert einiger diese Bilder zurück, was in der Forschung zu heftigen Diskussionen führte, in dieser wohlgeordneten Ausstellung aber kein Problem zu sein scheint. Die Malereien der frühen 30er Jahre, durchweg Portraits, schauen mit suprematistischem Blick auf die Renaissance. Seine letzten Bilder, ebenfalls Portraits, sind melancholische, dunkel-tonige Arbeiten in traditioneller Manier.
Die Bundeskunsthalle präsentiert diese Entwicklung in einer klug proportionierten, mit attraktiven Arbeiten aus allen Schaffensphasen bestückten Schau, die auch die großen Qualitäten des Frühwerks würdigt. Das im Ausstellungstitel gemachte Versprechen, Kasimir Malewitsch »und die russische Avantgarde« zu zeigen, wird allerdings kaum eingelöst. Arbeiten von Schülern und Anhängern flankieren phasenweise die Werke des Meisters; die wahrlich aufregende übrige Avantgarde im zerfallenden Russland und in der frühen Sowjetunion aber bleibt unsichtbar.

 

Chronologisch ist die Ausstellung aufgebaut, 13 Räume zu 13 Werkabschnitten trennen weit säuberlicher einzelne Phasen voneinander, als es der komplizierte, mitunter widersprüchliche Schaffensprozess Malewitschs eigentlich gestattet. Zu diesen Glättungen gehört auch die zurückhaltende Darstellung des kunsthohepristerlichen Anspruchs, den ­Malewitsch mit dem Suprematismus verband. Das hochgesteigerte Sendungsbewusstsein seiner zahlreichen Texte und Manifeste mit ihren Totalitätsvorstellungen und schier kosmischen Geltungsansprüchen werden in den Saaltexten kaum erwähnt, die relativ kurzen, dennoch informativen Katalogbeiträge streifen sie allenfalls. Ein von Widersprüchen und Befremdlichkeiten allzu stark befreiter Malewitsch ist wohl der Preis für die in Bonn angestrebte Blockbusterisierung dieses außerordentlichen, immer noch sperrigen Künstlers.