Kurzpassfestival

In der Tripclubbing-Reihe läuft unter dem Titel Mokoena Moving musikalisierter Fußball

Rekord! Im Champions-League-Rückspiel gegen Atletico Madrid erzielte Barcelonas Chefstratege Xavi eine Passquote von hundert Prozent. Das gab es noch nie, zumindest nicht in einem Spitzenspiel. Aber was für ein trauriger Rekord: Xavi konnte kaum vertikale Pässe spielen, leitete nie einen überzeugenden Angriff seiner Kollegen ein. Das Stellungsspiel und die Raumdeckung Atleticos blockten alles ab. Barca verlor verdient gegen die »kleinen« Madrilenen. Xavis Rekord ist ein Beispiel für perfekte Ineffizienz — oder ineffziente Perfektion.

 

Aber vielleicht ist Xavi, immerhin auch schon 34 Jahre alt und zwischen 2004 und 2012 wohl der dominanteste, stilprägendste Mittelfeldspieler, einfach reif für die Kunst. Bereits seine Einschätzung der verheerenden Niederlagen Barcelonas gegen Bayer München vor einem Jahr — sinngemäß: München hat uns nicht dominiert, wir hatten schließlich mehr Ballbesitz — zeugte von einem gewissen Realitätsverlust. Xavi will einfach nur noch den Ball zirkulieren lassen, dass zwischendurch auch mal Tore fallen können: egal (Xavis Mannschaften haben bereits alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt). L’art pour l’art, Kurzpassspiel als Meditationsform. Vielleicht hat er den maschinenhaften Minimalismus eines Steve Reich oder Philip Glass im Kopf oder orientiert sich in seinen streng abgezirkelten und genau berechneten Aktionen am Schweizer Konstruktivismus eines Richard Paul Lohse.

 

Man weiß es nicht. Aber klar ist: Seitdem der Fußball durch die Verräumlichung des Spiels und die Flexibilität der Mannschaften (»Fußball total« nannten das seine holländischen Erfinder) komplexer, fluider, abstrakter, ja: polyrhythmischer geworden ist, sprießen die Kunst- und speziell die Musikanalogien. Xavi wird nicht zu unrecht »la batuta« genannt: der Taktstock.

 

Die Frage aber, ob Fußball »die Gesellschaft« widerspiegelt, ist von Kennern der Spiels längst beantwortet worden: Es verhält sich umgekehrt. Dementsprechend müsste auch die Kunst dem Spiel folgen. Was ironisch klingt, hat tatsächlich einen realen Kern. Immer wieder waren es Komponisten, die Spielregeln aus dem Sport direkt oder zumindest indirekt für ihre Kompositionen adaptierten: »Match« (1966) war Mauricio Kagels sportive Interpretation des Post-Serialismus. John Zorn schuf Ende der 70er Jahre eine ganze Reihe von »Spiel-Stücken«, in denen die Musiker nach diversen Ballsportarten abgeschauten Mustern improvisierten. Und jetzt, ganz aktuell, sind es die jungen Komponisten Oxana Omelchuk und Ali N. Askin, die dem Fußball nacheifern.

 

Allerdings geht es ihnen nicht um die Übernahme von Gesten (Kagel) oder Regeln (Zorn), sondern um ein konkretes Geschehen: Vorlage ihrer Komposition ist der Spielzug, der zum 2:0 im Spiel Deutschland gegen Schweden im Oktober 2012 führte (Torschütze: Miro Klose). Die spielerischen Aktionen — Passstafetten, Bewegungsabläufe, Spieldynamik, Reaktionsmuster etc. — übertragen sie in musikalische. In der Rolle der Fußballer (um im Bild zu bleiben): das Schlagquartett Köln, denen man kurzpass-hafte Virtuosität und die Kaltschnäuzigkeit eines Miro Klose sofort zubilligt.

 

Der Kölner Journalist Manfred Müller, der das Konzept dieses Tripclubbing-Abends entwickelt hat und mit anderen Kollegen kürzlich in einem sportwissenschaftlichen Versuch den Einfluss externer rhythmischer Impulse auf das Spiel einer Fußballmannschaft untersuchte, beschreibt die Idee: »Das Konzert basiert gewissermaßen auf einer Umkehrung der Methode, die wir bei der Studie eingesetzt haben. Dort wurde das Zusammenspiel einer Mannschaft mit Musik interveniert, hier werden wir unmittelbar aus dem Mannschaftsspiel Musik generieren. Dabei ist es keineswegs selbstverständlich, dass die Zeitstruktur eines Bewegungsablaufs, zumal einer interaktiven Abfolge von Bewegungsabläufen einer ›musikalischen Logik‹ folgt.« Soll heißen: Die Übersetzungsleistung muss noch stattfinden. Die strukturelle Identität — etwa von Pässen und Rhythmen — ist nicht naturgegeben. Auch einen Kultura-lis-mus wird man nicht entdecken: We-der spielt die spanische Mannschaft Flamenco noch kicken die Deutschen Plattler. Die Musikalität des Fußballs ist immer schon der Fanta-sie der Komponisten entsprungen.

 

So verführerisch es ist, die Fußball-Analogie immer weiter zu treiben, so bleibt sie doch eine Analogie — eine trügerische, nicht selten bloß oberflächliche Verknüpfung. Die Komponisten kommen nicht darum herum, »ihre« Musik zu schreiben. Genau darin löst sich die Tätigkeit vom Vorbild und gewinnt ihren eigenen Wert. Wie das gelingt, zeigt sich natürlich nur am Abend selbst. Aber schon jetzt darf man sich der Kunstillusion hingeben, dem schönen Schein: Denn das Ergebnis, die Komposition, steht immer schon fest, das ist tröstlich. Im Fußball aber kann selbst das letzte Genie scheitern. Sprechen Sie Xavi besser nicht darauf an.