Rough in Nottingham

Die Sleaford Mods sind geboren, um abzuhauen

Sleaford liegt in Englands Mitte, in der Grafschaft Lincolnshire, ein dem Anschein nach ziemlich verkacktes Nest, um im Jargon von Jason Williamson zu bleiben. In den East Midlands geht man früh schlafen und steht zeitig wieder auf. Williamson muss wissen, ob an den Klischees über Sleaford irgendwas dran ist, er stammt aus der Gegend. Geboren, um abzuhauen, auf nach Nottingham (immerhin!), dann frustriert nach London, dann nach einigen Jahren frustriert zurück nach Nottingham. Und da dann Andrew Fearn kennengelernt, den musikalischen Bruder im Geiste.

 

Aus dem Mod wurden Mods, das Soloprojekt wurde zum Duo. Klare Arbeitsteilung bei unseren working class heroes: Williamson kann sich auf seine Texte und seinen Sprechgesang konzentrieren, Fearn sorgt für die schroffe Untermalung mit funktionstreuem Bass, aggressiven Beats und ein paar Keyboardsprengsätzen im Geiste der frühen The Fall. Seit den glorreichen Punk-Tages eines John Cooper Clarke hat man derart charmant hingerotzte Poesie nicht mehr vernommen, in einem Akzent vorgetragen, der mit dem Londoner Habitus, auch dem des East Ends, nichts gemein hat.

 

Clarke, geboren in Lancashire im Nordwesten, der vermeintlich erste Punk-Poet des Vereinigten Königreiches, trug sein »(You never see a nipple in the) Daily Express« in breitestem Mancunia aka Manchester-Dialekt vor. Williamson hingegen kotzt sich in den sprachlichen Feldern von Lincolnshire aus, keinerlei Anzeichen einer Anpassung an vermeintliche UK-Standards, keinerlei Anpassung an Grundregeln der Kommunikation. Sein Widerwillen, seine Hass-attacken, seine Tiraden (»The smell of piss is so strong, it smells like decent bacon« spuckt er in »Tied Up In Nottz«) implizieren eine politische Haltung, die die Probleme Englands knapp 25 Jahre nach der Ära Thatcher (die auch aus Lincolnshire stammt, sprachlich hingegen bestens assimiliert war) klar benennt, ohne Lösungen anzubieten. Die bandeigene Homepage fasst das wunderbar zusammen. Bei dem Duo handele es sich nämlich um »electronic munt minimalist punk-hop rants for the working class and under from Nottingham, UK«.

 

Und um einen nachhaltig einprägsamen Liveakt, der nach einigen Singles und einem fulminanten Debüt mit seinem aktuellen Album »Dive and Exit« vorstellig wird. Rohe Energie, lakonische britische Looks und Satzfetzen direkt aus dem Pub. Genau der richtige Mix für uns von Clubsterben und Wohnungsnot bedrohte Proletarier der Herzen. Seit dem ersten Auftritt von Mike Skinner habe ich mich auf keinen britischen Akt mehr so gefreut, Nichterscheinen wird mit Ökourlaub in Sleaford bestraft!