Nach dem Ende der Welt

Sun Ra feiert seinen 100. Geburtstag auf dem Saturn

Popkultur kann bisweilen eine brutal ignorante Angelegenheit sein — gerade dann, wenn sie sich ihre weltoffene Haltung ganz groß auf die Fahnen schreibt. Ende der 90er Jahren feierte die Popkultur Sun Ra — als posthumanistischen Mystiker des Afro-Futurismus. Er schien so verdammt »anschlussfähig« in Zeiten des posthumanistischen Techno und Drum’n’Bass, deren schwarze Protagonisten sich aus dem Zeichenrepertoire jenes Afro-Futurismus bedienten. Aber das Kalkül geht nur auf der Ebene der Inszenierung auf.

 

Denn tatsächlich war Herman »Sonny« Blount, so Sun Ras bürgerlicher oder, um in seiner Outer-Space-Diktion zu bleiben: weltlicher Name, in erster Linie Jazz-Innovator. Er hat, wer hätte das nach Duke Ellington noch für möglich gehalten!, eine neue Sprache für die Big Band erschaffen und hat den Free Jazz entscheidend geprägt (für ihn eine Angelegenheit eiserner Disziplin), er hat die Elektronik — den Synthesizer — in den Jazz eingeführt und diese musikalischen Revolutionen konsequent als Befreiung von irdischen Zwängen codiert. Die »schwarze Rasse« stamme gar nicht von »hier«, sondern sei durch ein kosmisches Unglück auf die Erde verschlagen worden, wo sie Vertreibung, Verschleppung, Versklavung, tägliche Demütigung erleiden müsse.

 

Sun Ra, mit diesem Namen outete er sich 1952, wollte diese Erfahrungen um--schmelzen in eine Musik oder besser: Musikvision, die von dem Schrecken spricht, aber ihn aufhebt ihn die Unbeschränktheit des Kosmos. »The Magic City«, so heißt eines seiner schönsten Alben, ist eine Hommage an seine Heimatstadt Birmingham, Alabama, in der der 1914 geborene Blount rassistische Segregation erlebte und mit der er dennoch glückliche Kindheits- und Jugenderinnerungen verband. Er wollte sich das nicht kaputt machen lassen, erst das wäre der Triumph des Systems gewesen.

 

Diese Transzendenz verkörperte Sun Ra so charismatisch, dass er bis an sein Lebensende und noch unter den prekärsten materiellen Umständen eine treue Musikerkommune um sich scharen konnte, das Arkestra. Sun Ra starb 1993, ästhetisch isoliert, halbvergessen. Dennoch: der wenig später einsetzende Hype wäre ihm lästig gewesen, Hauptsache sein Arkestra könne weiterarbeiten. Und das tut es: Seit etwa zehn Jahren ist es wieder eine feste Größe auf den Festivals dieser Welt und empfängt Sun Ras Musikideen, die immer auch Weltentwürfe sind, direkt von seinem Heimatplaneten, dem Saturn. Vor fünfzig Jahren, als das Arkestra in seine musikalisch inspirierteste Phase trat, ließ er zu Beginn der Konzertmessen seine Musiker im Dunkeln wispern: »It’s after the end of the world. Don’t you know that yet?« Wir sind befreit, aber wir warten noch auf das erlösende Wort.