Die brutale Wahrheit

Sturtevants subversive Kunst der Wiederholung in der Julia Stoschek Collection

Elaine Sturtevants erste legendäre Ausstellung liegt fast fünfzig Jahre zurück. 1965 zeigte sie in der New Yorker Bianchini Gallery Nachbildungen von Werken einiger Zeitgenossen: Blumen-Siebdrucke von Andy Warhol als Tapete, Bilder nach Jasper Johns, Claes Oldenburg und Roy Lichtenstein an einem Kleiderständer. Kritik am (Kunst-)Kommerz oder Hommage an bewunderte Kollegen?

 

Die Pop Art reagierte auf die Mechanismen und ästhetischen Reize der Alltagskultur und der Konsumgesellschaft, indem sie sich deren Motive mal mehr, mal weniger direkt aneignete. Mit konsequentem Wagemut überbot Sturtevant diese Geste und wandte sie auf die Kunst selbst an. Nicht ohne zu betonen: »Die brutale Wahrheit dieser Arbeit ist, dass sie keine Kopie ist.« Sturtevant bezeichnete ihre damals umstrittenen, kommerziell nicht erfolgreichen Werke als »Wiederholungen« — einige Jahre, bevor der französische Philosoph Gilles Deleuze 1968 seine wegweisende Schrift »Differenz und Wiederholung« vorlegte. In welchem Verhältnis stehen Original und Originalität, wo beginnt Autorschaft? Fragen wie diese haben seit dem Beginn der digitalen Revolution offenkundig noch an Brisanz gewonnen, und so nutzte Sturtevant auch digitale nichtkünstlerische Quellen, wie zum Beispiel einen Spot des Modelabels Diesel aus der Kampagne »Be Stupid«. Und warnte in einem Vortrag vor Dummheit, die sich als Intellektualität tarnt.

 

Es versteht sich, dass Marcel Duchamp alias Rrose Selavy, Erfinder des Readymades und Mitbegründer der Konzeptkunst, eine ihrer Bezugsgrößen war. In der Julia Stoschek Collection ist Sturtevants Version seines wortspielerischen »Fresh Widow« zu sehn: acht französische Sprossenfenster, deren Scheiben durch schwarzes Leder ersetzt sind. Ansonsten dreht sich die mit 13 Exponaten überschaubare, aber sehr dynamische Präsentation vorwiegend um filmische Arbeiten, die mitunter — wie etwa in »Blow Job« (2006) — auch Glanz und Elend der Pornografie reflektieren.

 

»Meine Absichten sind, unsere derzeitigen Vorstellungen von Ästhetik zu erweitern (…) und neue Denkräume zu eröffnen«, schrieb die 1930 in Ohio geborene Amerikanerin, die am 7. Mai in Paris verstarb. In ihrer wandfüllenden Videoinstallation »Finite?/?Infinite« (2010) rast ein schwarzer Hund zu einem treibenden Soundtrack immer wieder von links nach rechts durchs Bildfeld – Wiederholung pur, aber von Ermüdung keine Spur.