Eine Frage der Haltung

Cinephilie statt Karriere: Seit knapp dreißig Jahren macht Bernhard Marsch Kurzfilme

So großstädtisch wie im Sommer 1986 wirkte Köln nie wieder. Dieser Eindruck drängt sich zumindest auf, wenn man Bernhard Marschs Kurzfilm »Kölner Bewegungen« sieht, den er in diesem Jahr gedreht hat. Neonlichter in der Nacht, sich kreuzende Straßenbahnen, Fußgängerströme im Zeitraffer — dieses Debüt ist eine der schönsten filmischen Hommagen an die Stadt, die je gedreht wurden. Vielleicht liegt das daran, dass hier zwei große Lieben oder Sehnsüchte zusammentrafen. Zum einen Marschs große Liebe zum Kino, hier ganz offensichtlich zu Walther Ruttmanns bahnbrechendem Film­essay »Berlin — Die Sinfonie der Großstadt« (1927), zum anderen die in jeder Einstellung spürbare Sehnsucht nach der großen Stadt, in die er gerade aus der Provinz (Hennef) gezogen war.

 

Eigentlich wollte Marsch Volks­wirtschaft studieren — es sollte allerding in seinen Worten: »ein kurzes akademisches Intermezzo« werden. Bei der Bewerbung für die Deutsche Film- und Fernsehakademie in Berlin kam ihm eine frische Liebe dazwischen, stattdessen en­ga­gierte er sich beim neugegründeten Kölner Filmhaus. »Kölner Bewegungen« entstand aber noch fast im Alleingang: Regie, Kamera und Schnitt machte er selber. Nur für die Musik holte er sich Unterstützung: »Ich war ja neu in der Stadt und kannte niemanden, also habe ich einfach Leute angerufen, die per Kleinanzeige Instrumente verkauften. So wollte ich an Musiker rankommen«, erzählt er lachend. »Und tatsächlich habe ich so auch jemanden gefunden, der die Musik komponiert und eingespielt hat.«

 

Knapp dreißig Jahre später sitzt Marsch in einer Tapasbar nicht weit vom Kino des Filmclub 813 ­in der Hahnenstraße. 1990 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern des Vereins und ist hier ungebrochen aktiv. Er wirkt zufrieden. Gerade ist er aus den USA zurückgekommen, wo in Nebraska und Missouri seine Kurzfilme zu sehen waren. Die kleine US-Tour kam auf Vermittlung von Marco Abel zu­stan­de. Der gebürtige ­Porzer lehrt an der University of Nebraska-­Lincoln Englisch und Filmwissenschaft und hatte schon 2010 in einem akademischen US-Journal einen langen Text zur ­»Kölner Gruppe« im Umfeld des Filmclub 813 veröffentlicht, zu der Marsch gehört.

 

In seinem Essay gibt Abel zu, dass selbst die meisten deutschen Filmkenner kaum etwas von der Kölner Gruppe um Marsch, Rainer Knepperges, Christian Mrasek, Markus Mischkowski u.a. gehört haben dürften, aber er sieht sie dennoch als wichtige widerständige filmische Untergrundbewegung im wiedervereinigten Deutschland. In typischer Aka­demikermanier überfrachtet er bisweilen seine Analyse mit Theorien des französischen Philosophen Gilles Deleuze zur »Kontrollgesellschaft«, beschreibt aber auch immer wieder treffend die Besonderheiten der Filme der Kölner — etwa dass die meisten ihrer Protagonisten dazu neigen, »sich zu verzetteln«. Abel benutzt den deutschen Ausdruck, dass die endlosen Gespräche in den Filmen weniger dazu da sind, zu einem Punkt zu kommen, als das Reden selber zu feiern. »Was auf einer Ebene wie kollektive Faulheit erscheinen mag, kann auf der anderen Seite als Ausdruck des individuellen Wunsches gesehen werden, es sich gutgehen zu lassen«, schreibt Abel. »Die Kölner-Gruppe-Filme ­drücken diese Befürwortung anti-utilitaristischen Genießens genau in dem Moment aus, in dem der neoliberale Diskurs der ›Mobilität‹ in Deutschland immer mehr zum Allgemeingut wird.«

 

Wenn es ein Mitglied der ­Kölner Gruppe gibt, auf den der Begriff »sich verzetteln« vielleicht am besten passt, dann ist es Marsch. Während seine Kollegen Rainer Knepperges und Christian Mrasek (»Die Quereinsteigerinnen«), Markus Mischkowski und Kai Maria Steinkühler (»Westend«) und Jukka Schmidt (»Hans Dampf«, zusammen mit Mrasek) alle zu­min­dest auch einen Langfilm vorweisen können, hat er bislang den Sprung zum abendfüllenden Format nicht geschafft. »Natürlich habe ich auch den Ehrgeiz einen Spielfilm zu machen. Ob das gelingt, steht auf einem anderen Blatt«, erklärt Marsch, der mit Anfang Fünfzig auf keinen Nachwuchs-Bonus mehr hoffen kann. »Ich habe zwei Drehbücher in der Tasche, ein West-Ost-Roadmovie und ein Nord-Süd-Road­movie, vereinfacht gesagt. Das erste ist historisch, also teuer, das kann man nicht so einfach aus dem Handgelenk schütteln. Das zweite schon eher.« Bislang hat sich allerdings noch nicht viel getan, gibt er zu: »Ich arbeite daran, dass ich das vielleicht nächstes oder übernächstes Jahr auf die Beine stellen kann. Irgendwie.«

 

Vielleicht ist jetzt tatsächlich die Zeit reif für Marsch. Die Kritik am drehbuchfixierten deutschen Förderkino, das oftmals handwerklich professionelle, aber leblose Filme hervorbringt, wird immer lauter. Dazu passt, dass in den letzten Jahren auf breiter Front ein Rebell wie Klaus Lemke wiederentdeckt wurde — einer der Helden Marschs und der gesamten Kölner Gruppe —, der auch mit über siebzig noch seinen räudigen Vitalismus pflegt. Und dann sind da noch Jakob und Tom Lass, die letztes Jahr mit ihrem unabhängig von Fördergeldern gedrehten »Love Steaks« gezeigt haben, dass deutsches Kino auch andere Wege gehen kann — wofür sie mit Preisen überhäuft wurden.

 

Aber auch wenn es nicht mehr klappt, bleibt Marsch entspannt. Trotz jahrzehntelangem Arbeiten am äußersten Rand der Filmwirtschaft ist bei ihm erstaunlich wenig Bitterkeit zu spüren: »Ich möchte mich nicht an die gängigen Spielregeln halten. Ich will Filme so machen, wie ich sie eben machen möchte. Wenn das nicht möglich ist, dann wird das eben im Zweifelsfall eher nichts. Das ist eine Frage der Haltung.«