Die Absurdität von Leerstand

Mit seinem präparierten Klavier

arbeitet sich Hauschka an der

Melancholie verlassener Orte ab

Er ist ein Pionier des modern classic, dieser neoromantischen Post-Ambient-Musik: Hauschka, bürgerlich Volker Bertelmann. Sein Sound entsteht aus den wundersamen Klängen eines präparierten Klaviers. Besonderes Merkmal:  klare Strukturen und prononcierte Rhythmik. Während Kompositionen seiner Neoromantik-Kollegen oftmals in Melancholie zerfließen, gibt sich Hauschka aufgeräumt, selbst düstere Motive präsentiert er ohne Selbstmitleid. »Abandoned City« ist sein 13. Album seit 2004 (Kooperationen und Remixes eingeschlossen), der 1966 geborene Bertelmann lebt mit seiner Familie immer noch in Düsseldorf.

 

Ihr Album heißt »Abandoned City« — die verlassene Stadt. Wie sind Sie auf dieses Thema gestoßen?

 

In meinem Wohnzimmer hängt das Bild einer Bauruine, das hat ein Freund von mir in Las Vegas gemacht. Sollte ein Parkhaus werden, doch ist nur das Gerüst geblieben. Ich war sofort begeistert und hab begonnen, zu recherchieren. Von verlassenen Gebäuden kam ich auf verlassene Orte. Diese Orte lösen in mir eine ähnliche Stimmung aus, wie beim Musikschreiben: ein Gefühl von Zeitlosigkeit, Vergänglichkeit, Wehmut, Melancholie, aber auch Hoffnung. Insgesamt vierzehn Orten hab ich ein Stück gewidmet. Jetzt auf Tour schließt sich der Kreis: Da melden sich Leute aus diesen oder anderen verlassenen Orten, schreiben mir oder kommen auf meine Konzerte.

 

Die Plätze, die Sie ausgewählt haben, stehen auch für emotionale Momente, wie eben Melancholie, die scheinbar Eins zu Eins von der Musik gespiegelt werden.

 

Da gibt es viele Gemeinsamkeiten. Man merkt sofort, dass die Leute damit etwas anfangen können. Vollkommen egal, wo. Philadelphia zum Beispiel hat ungefähr 40.000 leer stehende Gebäude. Dazwischen Obdachlosigkeit. Die Absurdität von Leerstand. Warum gibt es soviele Plätze, die man nicht betreten darf? Warum gibt es kein Recht auf Wohnen? Das alles schwingt thematisch mit. Da kommt man schnell in politische Bereiche, in die ich so direkt gar nicht rein wollte. Lieber überlasse ich es den Zuhörern, in welche Richtung sie gedanklich gehen möchten.



Im jetzigen Album geht es um verlassene Orte, Ihr letztes, »Salon des Amateurs«, beschreibt eine Clubnacht — beides konzeptionelle, narrative Themen ...

 

Eigentlich sind alle meine Alben Geschichten erzählerisches Arbeiten, das ging schon mit »The Prepared Piano« los, um sich das Instrument zu erschließen. Kurz danach fing es mit den Orten an — seit 2007 toure ich intensiv, daraus ist »Foreign Landspaces« entstanden. Mit »Ferndorf« schließlich hab ich Frieden mit meiner provinziellen Herkunft geschlossen.

Spiegelt Ihre Musik, was auch unbewusst in Ihnen sich abspielt? 

 

Absolut. Das ist vielleicht die Stärke meiner Musik. Die Leute können mich in meiner Musik sehr gut kennenlernen, können aber auch sich selbst besser kennenlernen. Dieses Gefühl der Nähe habe ich auch bei meinen Konzerten: Ich gehe auf die Bühne und spiele, als wäre ich Zuhause. Selbst wenn da achthundert Leute zusehen, fühle ich mich, als wäre ich alleine.

In der Tat, Sie wirken sehr entspannt, wenn Sie auf die Bühne gehen.

 

Das ist aber auch Ergebnis jahrelanger Arbeit. Hab ich längere Zeit nicht gespielt, muss ich diese Selbstsicherheit vor Publikum neu erlernen. Wichtig ist aber auch, dass du als Person von Bedeutung bist — die Leute kommen nicht nur wegen der Musik, die kommen auch deinetwegen. Mich auf der Bühne so zu geben, wie ich bin, hab ich stark dadurch trainiert, dass ich ins Rampenlicht trete, ohne zu wissen, was ich mache.

Freies Spiel, also Mut zum Fehler? Ein Programm entwickeln, um es wieder loszulassen?

 

Ja. Es geht darum, alles so gut vorzubereiten, wie es geht — und das muss dann auf der Bühne reichen. Ein passierender Fehler darf keine Panik auslösen — es geht um den Umgang damit: den Fehler nehmen, ihn stehen lassen und an der Stelle aufhören. Oder den Fehler aufgreifen, ihn zum Teil der Komposition werden lassen. Wie reagiere ich auf den Fehler?

Auf der Bühne im Moment des Spielens ankommen?

 

Darum geht es — besonders im freien Spiel. Dafür muss man zwar die Ruhe weghaben. Dabei bin ich aber nicht unaufgeregt, eine Grundnervösität bleibt. Doch noch größer ist meine Lust, zu spielen — und die hab ich eigentlich jeden Abend. Wäre ich gelangweilt, müsste ich den Leuten irgendwas vorsetzten. Ein Programm abspulen, für mich ist das nichts.

Ihr Spiel ist stark rhythmisiert, auch tanzbar. Finden Sie die häufig melancholischen Kompositionen des neoromantischen Ambients nicht bisweilen langweilig?

 

Die gehen mir manchmal total auf den Sack. Dieses Pathos in der Klaviermusik kann ich überhaupt nicht leiden. Sobald das bei mir selbst Überhand nimmt, suche ich nach anderen Möglichkeiten. Ich versuche, dem Klischee zu entfliehen. Das treibt mich kreativ an. Ich tan­ze gerne zu basslastiger Musik — und diese Momente möchte ich im Konzert haben, in denen man »Yeah!« rufen, aufspringen und tanzen möchte.