»Die Lücke«

Noch im Gedenken lassen sich Unterschiede erkennen: Während an den Einsturz des Stadtarchivs und die beiden Toten alljährlich erinnert wird, hatten die 22 Opfer des Nagelbombenanschlags der NSU in der Keupstraße 2004 nicht so viel Glück. Sieben Jahre hielten sich die Verdächtigungen von Schutzgelderpressung bis zum Ehrenmord, bis endlich der rechtsradikale Hintergrund enthüllt war.

 

Erst dann reagierte die Stadtgesellschaft mit der Einrichtung einer Beratungsstelle, erst jetzt finde eine Gedenkveranstaltung statt. Offenbar gibt es Opfer erster und zweiter Klasse. Das Schauspiel Köln versucht, die Bewohner der Keupstraße selbst zum Sprechen bringen. »Wir müssen das machen«, sagt Regisseur Nuran David Calis. Zehn Jahre seien die Betroffenen mundtot gemacht worden, nun werden sie von ihren Erfahrungen in dem Dokumentar-Stück »Die Lücke« berichten.

 

Der Titel verweist auf die Entfremdung, die nach all den Bekundungen zur Einwanderungsgesellschaft plötzlich durch die Ermittlungen im Kreis der Opfer entstanden ist. Über ein Jahr hat Calis vor Ort Material gesammelt, den NSU-Prozess beobachtet, vor allem aber mit den Menschen in der Keupstraße geredet. »Es war schwierig an die Leute heranzukommen.« Zunächst wollte mit ihm niemand über sein Trauma reden. Der Regisseur, der bereits zahlreiche Dokumentar­stücke zwischen Essen, Hannover und Berlin realisiert hat, blieb hartnäckig und alles andere als einseitig: Neben den Anwohnern sprach er auch mit Ermittlungsbeamten, Staatsanwälten und Politikern. Keineswegs seien die auf dem rechten Auge blind, meint Calis und be­­schreibt einen »institutionellen Autismus«, der zur Verengung der Ermittlungen geführt habe.

 

In offener Form will Calis sich dem Alltagsrassismus nähern, der in Europa von Frankreich über Deutschland bis Ungarn wieder salonfähig ist. Drei Schauspieler und vier Laien, die den Anschlag überlebt haben, werden auf der Bühne stehen. Inwieweit ein solcher Abend Vertrauen wieder herstellen kann, bleibt dahingestellt.