Rock den Woyzeck

Regisseur Jörg Fürst inszeniert Büchners Sozialdrama als konzertantes Theater

Ein Streichholz glimmt in der Dunkelheit auf. Ein Musiker zündet sich eine Zigarette an,  das Bühnenlicht erstrahlt. Auf seiner E-Gitarre spielt er dröhnend die ersten Akkorde. Was zunächst wirkt wie ein dramaturgisch ausgefuchster Einstieg in ein Rockkonzert, ist der Beginn des oft bemühten Dramenfragment »Woyzeck« von Georg Büchner im Theater im Bauturm. Regisseur Jörg Fürst hat für seine Adaption das Ende an den Anfang gestellt: der Mord an Marie, Geliebte und Mutter seines Kindes – assoziativ kommentiert mit handgemachtem trashigem Bluesrock und Country, für den die Musiker Peter Sarach & Krazy verantwortlich sind.

 

Schnell ist die Marschrichtung klar. Fürst geht es weniger um die Entwicklung der Figur als darum, Woyzecks entmenschlichten Wahnsinn erlebbar zu machen, den er anhand eines szenischen Bilderreigens erzählt. Dafür hat der Regisseur die Dialoge stark verknappt. Die kleinen Mosaikteile des Dramas sind eher motivisch als chronologisch geordnet. Lichterbögen rahmen die Bühne, was zusammen mit den Glamrock-Kostümen der Band an einen surrealen Zombie-Zirkus erinnert. Auf Bildschirmen sehen wir Bilder des Live-Geschehens auf der Bühne, voraufgezeichnete Sequenzen mischen sich darunter. Der Bühnenraum wird so erweitert, gleichzeitig die Darstellung in der Echtzeit fokussiert. Fürst gelingen ebenso starke wie bedrückende Bilder.

 

Etwa, wenn Woyzeck in einer mit Plastikkanülen beklebten Weste vor einer Nebelwand in dunkelblaues Licht getaucht zur Musik auf der Stelle läuft: der geschundene Soldat als Laborratte, ausgestellt als rein biologisches Phänomen ohne Autonomie und Würde. Nach dem Lauf lässt der Regisseur seinen Protagonisten schweißgetränkt in den Wahnsinn versinken.
Über den ganzen Abend hinweg brilliert Gregor Henze als Woyzeck. Ihm zur Seite spielt Lisa Bihl als Marie facettenreich: von der irritierten Ehefrau bis zur begehrenden Betrügerin.
Doch leider harmonisieren die Szenen zu selten mit der Musik. Statt sich zu verzahnen laufen sie aneinander vorbei. Die Inszenierung erhält streckenweise den Charakter eines Konzertes mit begleitendem Szenenspiel, die Musik stiehlt dem Schauspiel die Show. Erst gegen Ende, wenn mehr von Büchners unsterblichen Sätzen zu hören sind, geht das Konzept auf. Die assoziativen Bilder verbinden sich endlich mit den Handlungsfragmenten, und man erinnert sich, warum »Woyzeck« so ein fantastischer Stoff voller Energie, Witz und Tragik ist.