Große Familie, straff organisiert

 

Im Bickendorfer Wohnprojekt »Gemeinsam Wohnen und Leben mit Kindern« leben seit mehr als 20 Jahren Menschen zusammen

 

Montags gibt es einen Tanzkurs. Am Mittwoch steht Zumba auf dem Programm. Donnerstags wird Englisch-Nachhilfe angeboten. Auch sonst ist der Gemeinschaftsraum immerbelegt. »Hier wird alles gefeiert. Von Geburtstagen, Kommunion bis zur Hochzeit«, erzählt Juliane Matzerath. An den Wänden zeigen Foto-Collagen die Veranstaltungen. »Karneval 2008« steht da drunter, oder »Kickerturnier mit der GAG«. 

»Gemeinsam Wohnen und Leben mit Kindern« an der Johann-Thomer-Straße in Bickendorf ist ein Modellprojekt der Stadt Köln und der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GAG. 50 Erwachsene und 55 Kinder wohnen in 27 Mietwohnungen. Es gibt einen großen Garten, den Gemeinschaftsraum mit Küche und auch ein kleines Gäste-Appartement. Statt anonym und isoliert zu wohnen, findet man hier Beteiligung und Mitbestimmung in der Gemeinschaft.

Juliane Matzerath ist von Anfang an mit dabei. Die heute 44-Jährige erfuhr Anfang der 90er Jahre über das städtische Wohnungsamt von dem Wohnprojekt für Alleinerziehende und Menschen mit Migrationshintergrund. Matzerath war damals schwanger, ging zur ersten Vorstellung 1991 — und blieb. »Es war spannend, von Anfang an mitplanen zu können«, sagt sie. Die Gruppe traf sich zwei Jahre lang jeden Monat, konzipierte Wohnungen und Zimmer, die gemeinschaftlichen Räume, den großen Garten. 

Ende 1993 konnten die drei Häuser in der Neubausiedlung Westend bezogen werden. Ein Drittel der neuen Bewohner waren Alleinerziehende aus insgesamt 13 Nationen. »Wir kannten uns ja alle schon durch die regelmäßigen Treffen«, sagt Matzerath. »Trotzdem hat es ein paar Jahre gedauert, bis wir uns richtig zusammengerauft haben. Ab und an treffen oder zusammenleben — das ist schon ein Unterschied«.

Heute klappt das Zusammenleben gut. »Wir sind eine große Familie, zumindest mit den meisten«, sagt auch Demet Togan. Die 43-Jährige wohnt seit zehn Jahren hier. »Als ich noch da drüben gewohnt habe«, sagt sie und zeigt auf die gegenüberliegende Straße, »kannte ich vielleicht zwei, drei Leute aus der Nachbarschaft.« Necla Bozoglu sieht das ähnlich. Auch sie ist vor zehn Jahren mit Mann und drei Kindern hierher gezogen.

Das Zusammenleben in Bickendorf ist straff organisiert. Es gibt einen festen Aufgabenplan: den Garten pflegen, den Spielplatz in Ordnung halten, Reparaturen und andere Hausmeisterarbeiten durchführen — all das machen sie selbst, dadurch sind die Nebenkosten niedrig. Wenn mal das Treppenhaus renoviert werden muss, geschieht das gemeinsam mit den Handwerkern der GAG. »Da konnten auch unsere Kinder mitstreichen«, erinnert sich Togan. »Und anschließend wurde gegrillt.« 

Gemeinschaft ist allen das Wichtigste hier. »Gerade in Krisen haben wir hier einen super Zusammenhalt«, sagt Matzerath. Als sie vor drei Jahren für mehrere Monate ins Krankenhaus musste, nahm Bozoglu ihre Tochter auf. Und als der 9-jährige Sohn einer Mitbewohnerin starb, kümmerten sich die anderen um sie. »Wir fangen uns gegenseitig auf«, sagt Matzerath.

Bei Streitigkeiten vermitteln die gewählten Mietervertreter. »Erst, wenn es gar nicht mehr geht, wenden wir uns an die Sozialarbeiterin der GAG«, sagt Matzerath, die selbst Mietervertreterin ist. Um welche Konflikte es sich genau handelt, darüber wollen sie nicht reden. »Sagen wir so: Manche Leute kommen mit anderen Vorstellungen hier rein, und stellen dann fest, dass das alles doch nicht ihres ist«, sagt Togan. 


Wenn eine neue Familie einziehen möchte, muss sie sich in der Runde vorstellen. »Wir wollen wissen, warum die hier einziehen wollen. Wenn bloß deren alte Wohnung zu klein geworden ist, reicht uns das nicht«, sagt Matzerath. »Sie sollten Ideen einbringen. Akzeptieren, dass es auch mal lauter werden kann. Und vor allem Kinder mögen.«

Die Kinder stehen im Mittelpunkt, nach wie vor. »Mir ist wichtig, dass man hier auf deren Bedürfnisse eingeht«, so Bozoglu. Auf die Bildungskarrieren der Kinder sind hier alle stolz. »Alle, die hier aufgewachsen sind, haben eine Ausbildung, ein Studium oder sonst etwas aus ihrem Leben gemacht.« Ein Zahnarzt ist darunter, eine angehende Apothekerin, und sogar ein Olympiateilnehmer: Weitspringer Alyn Camara war 2012 in London dabei.

Solche Karrieren scheinen ob der Lage zwischen Bickendorf und Ossendorf nicht selbstverständlich. »Wir sind umgeben von sozialen Brennpunkten, hier drinnen ist ein geschützter Raum. Gerade als unser Kinder größer wurden, war das wichtig«, sagt Bozoglu. Gegen die Stigmatisierung ihres Nachwuchses als Pro-blem-kin-der haben die Eltern von Anfang an gekämpft. Wäh-rend der Planung war das Gelände Teil des Ossendorfer Wegs. »Wir haben damals sogar einen neuen Straßennamen beantragt, damit die Kinder in der Schule nicht gleich einen Stempel bekommen«, erinnert sich Matzerath.

Ein wenig verändert hat sich der Charakter des Projektes altersbedingt schon. »Die erste Generation ist durch«, sagt Matzerath. »Heute sind wir eigentlich ein Mehr-Generationen-Projekt!« Der älteste Bewohner ist 60 Jahre alt, die erste Großmutter gibt es auch schon. Doch auch im Alter sollen sich all wohlfühlen. Deshalb packen sie demnächst wieder alle gemeinsam an. »Wir planen im Garten eine großzügige Ruhe-Ecke«.