Pazifisten und Motorradgangs vereint: Montagsdemo in Köln | Foto: Manfred Wegener

Die Gekränkten

Sie wollen eine Alternative für ein Deutschland, das von Sinnen ist. Sie behaupten, den Frieden und die Familie schützen zu wollen: Die Neue Rechte ist ein widersprüchliches Milieu. Libertäre Steuerboykotteure und christlich-konservative Gegner der Homoehe tummeln sich dort, der höfliche VWL-Professor Bernd Lucke und der geifernde Krimi­autor Akif Pirinçci. Sie sind Teil des gesellschaftlichen Mainstreams ist, und wähnen sich von eben diesem Mainstream drangsaliert.

Anfang Mai in einer Runde kluger, interessierter Leute: Akif Pirinçci? Der Katzenkrimiautor? Gibt’s den noch? Und der macht jetzt … was? Ultralibertäre Hasspropaganda? Ein Superstar der ganz Rechten? Der? Ja, der. Verkauft von seinem Pamphlet »Deutschland von Sinnen. Der irre Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer« mittlerweile Hunderttausende.

 

Und der hochgebildete Nachbar, im Beruf erfolgreich, stets höflich: Man sieht ihn im Straßenwahlkampf Propaganda für die AfD machen. Vielleicht geht er am Montag noch zu den Friedensdemos. Auch die sind neu in diesem Frühjahr: Man verteidigt dort Putin und wettert gegen den Euro und das Zinssystem.

 

Gerne würden wir an dieser Stelle von einer Neuen Rechten schreiben — keine Stiefelnazis, sondern Bürgerinnen und Bürger aus dem Mittelstand; kein völkischer Wahn, aber wenig gezügelter Hass auf angeb­liche »Einwanderer ins Sozialsystem«. Allerdings — nur einen Schritt ­weiter wird es diffus: Sind diese Rechten autoritär und staatshörig? Oder Vertreter eines entfesselten — marktradikalen, steuerfeindlichen — Individualismus? Bekennen sie sich zu Putin? Oder doch zur Westbindung Deutschlands?

 

Würde man all die neuen Stars der Neuen Rechten — Akif Pirinçci, Bernd Lucke, Jürgen Elsässer, Ken Jebsen — mit denjenigen in einen Raum sperren, die in den letzten Jahren ihre Stichwortgeber waren — Peter Sloterdijk, Thilo Sarrazin, Henryk M. Broder —, sie hätten gemein­samen Gesprächsstoff für vielleicht fünf Minuten. Danach würde ein ­großes Hauen und Stechen einsetzen. A kann mit B, B kann mit C, A aber nicht mit C usw.

 

Hinzu kommt, dass diese Neue Rechte in Parallel­welten existiert. Pirinçci ist der Star der Leserkommentare und Amazon-Kundenrezen­sio­nen. Das reicht für einen Bestseller, aber es prägt keinen Diskurs, stößt keine Debatte an, da können Pirinçci und seine Anhänger auch noch so laut schreien. Umgekehrt fallen die besser situierten AfD-Unterstützer nie in Pirinçcis Fäkal-Jargon, sondern agieren betont leisetreterisch. Und beide sind weit entfernt von den montäglichen »Mahnwachen für den Frieden«, auf denen in Berlin der einstige antideutsche Kommunist und heute para­noide Nationalist Jürgen Elsässer schwadroniert — Elsässers Magazin Com­pact hat aber soeben Pirinçci als »besten Deutschen« gefeiert. Was dem aber nicht gefallen dürfte. Kurzum: Man wurschtelt nebeneinander her.

 

Aber man wurschtelt in die gleiche Richtung und zwar erfolgreich. Man protestiert gegen den Euro-Rettungs­schirm und gegen Aufklärung über Homosexualität im Schulunterricht. Damit bringt man Menschen auf die Straße und gewinnt Wahlen. Das Reich von Broder, Jan Fleischhauer und Sloterdijk ist die Talkshow. Ihre »Schüler« von der AfD sind ins Europaparlament und in viele Stadträte eingezogen — auch in Köln.

 


Den ganzen Artikel von Felix Klopotek & Christian Werthschulte
gibt's in der aktuellen StadtRevue

 

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