Hinterm roten Teppich

»Verführt und verlassen« von James Toback

Das Filmfestival in Cannes: Heiliger Boden der internationalen Cinephilie, Pantheon der Filmkunst, wo Glamour und künstlerische Ambition, Boulevard und hehre Filmkritik am roten Teppich in selten gesehener Eintracht aufeinandertreffen.

 

So der Mythos. Doch gleich hinter dem Aufgang ins Kino beginnt der Markt, genauer: der vom Blitzlicht abgeschirmte internationale Filmmarkt, auf dem Filmrechte gehandelt und bei Investorengesprächen die wirtschaftlichen Grundlagen für kommende Produktionen gelegt werden. Wer kein fertiges Produkt vorzuweisen hat, wirft sich selbst umso mehr ins Zeug. Mit selbstbewusstem Auftreten, spontanem Witz, umschmeichelnder Rhetorik und wachsweicher Flexibilität bezüglich der eigenen Absichten beginnt die zugleich hohe wie niedere Kunst des Pitchens mit Blick auf die Scheckbücher der internationalen Produzenten.

 

Kein freundlicher Markt für has-beens, aber auch für Leute, deren Namen auch heute noch gut klingen. Zumal das mittlere Segment der Filmproduktion, also der Bereich, wo Ambition und wirtschaftliches Interesse einst zueinander fanden, im Zeitalter megateurer oder megagünstiger Produktionen zusehends zerrieben wird.

 

Für das Projekt, mit dem der (auch schon länger abgesägte) Regisseur James Toback (»Fingers«) und Alec Baldwin, nach dem Sitcom-Erfolg »30 Rock« mit neuen Kino-Ambitionen, in diesem gnadenlosen Reigen der Marktwert-Taxierung hausieren gehen, stehen die Zeichen schlecht: Ein loses Remake von »Der letzte Tango in Paris«, situiert im Irak und mit explizitem Sex — ein politisch-romantisches Abenteuer ohne Comic-Vorlage und mit in den relevanten Zielgruppen wenig ziehenden Altstars? Vergiss es!

 

Auf diesen Film wird man wohl weiterhin verzichten müssen. Doch entstanden ist dabei — und wohl: in eigentlicher Absicht — der vorliegende Dokumentarfilm, der so lakonisch wie witzig, so haarsträubend wie anrührend das Filmbusiness von seiner dreckig-freundlichen, also ökonomischen Seite zeigt, wo man einander umgarnt und zynische Herzlosigkeiten lächelnd ins Gesicht sagt. Gewiss zählt auch »Verführt und verlassen« zu den eitlen Meta-Filmen, die sich vor allem um Hollywoods eigenen Bauchnabel drehen. Der Erkenntniswert ist überschaubar. Doch als enttarnender Blick hinter die Fassaden einer Industrie, die noch im Prozess der Selbstkannibalisierung mit Sektglas anstößt, entwickelt er den Charme eines Autounfalls, von dem man seine Augen nicht lassen kann.