Selbsthass und Weltwut

»Violette« von Martin Provost

Mit seinem 2008 entstandenen Film »Seraphine« hat Martin Provost schon einmal den Kampf einer — zu Unrecht vergessenen — Künstlerin um Anerkennung in einer männlich geprägten (Kunst-)Welt nachgezeichnet. Auch Violette Leduc dürfte hierzulande kaum bekannt sein. Dabei zählt sie zu den Pionierinnen der Frauenliteratur. Leduc schrieb über ihr problematisches Verhältnis zu ihrer Mutter, über ihre Abtreibung, ihre Sexualität und lesbische Erfahrungen — und brach damit ungefähr jedes Tabu der Nachkriegszeit.

 

Über 22 Jahre und sechs Kapitel schlägt Provost den Bogen seiner altmodischen Künstler-biografie: Von 1942, als Leduc (Emmanuelle Devos) vom homosexuellen Schriftsteller Maurice Sachs, mit dem sie in der Provinz in einer unglücklichen Scheinehe lebt, das erste Mal zum Schreiben gedrängt wird, bis 1964, als sie mit 57 Jahren durch den Erfolg ihrer Autobio-graphie »Die Bastardin«- -endlich die lebenslang ersehnte Anerkennung erfährt.

 

Wie seine in Selbsthass und Wut auf die Welt verbissene Heldin braucht auch der Film zunächst etwas Zeit, um sich selbst zu finden. Die Tristesse ihrer Jahre als Schwarzmarkthändlerin überträgt sich recht unmittelbar auf den Zuschauer. Die Wendung für Violette kommt in Gestalt von Simone de Beauvoir (großartig: Sandrine Kiberlain). Sie erkennt ihr Talent, vermittelt ihre erste Veröffentlichnug, wird ihre Mentorin und heimliche Mäzenatin.

 

Die ambivalente Beziehung zwischen diesen gegensätzlichen Frauen — der kultivierten Bürgerstochter, gefeierten femme de lettres und intellektuellen Frontfrau des Feminismus und der an ihrer Armut, Hässlichkeit und Einsamkeit leidenden unehelichen Tochter einer Putzfrau — ist Angelpunkt und emotionales Zentrum des Films. Denn neben einer Selbstfindungs- und Entwicklungsgeschich-te ist »Violette« im Kern ein hochspannendes Beziehungsdrama — bei dem sich Bedürfnisse und Machtverhältnisse immer wieder subtil verschieben. 

 

Die sinnliche, bildergeladene und dabei präzise Sprache Violette Leducs lässt Provost leider erst spät ausführlicher für sich selber sprechen. Dafür aber umso stärker. Gegen Ende öffnen sich die kammerspielartigen Räume und Violette stapft mit einem Rucksack auf den Schultern durch die Hügel der Provence und schreibt am Abend vor ihrem Zelt, ganz allein und ganz bei sich, in ihre Kladde — hier findet die Kamera von Yves Cape fast körperlich greifbare Bilder für die existentielle Dimension des Schreibens und die befreiende Kraft des Ausdrucks.