»Alle waren auf der Straße, aber jeder für etwas anderes.«

Brasiliens HipHop-Star Emicida über Rap, die Favelas und Fußball

Vom Favela-Kid zum HipHop-Star. Der Rapper Emicida gilt als Stimme der Deklassierten Brasiliens. Seine Textzeile »Fodase voces, fodase suas leis!« (Fickt euch und eure Gesetze!) wurde während der Proteste 2013 zu einem Slogan der Demonstranten. Aber anders als Public Enemy oder die Dead Prez ist Emicida kein Agit-HipHopper, sondern ein Künstler mit Widersprüchen, der trotz aller Kritik an der WM nicht vom Fußball lassen kann.

 

Die WM beginnt bald, wenn dieses Interview erscheint, ist sie im vollen Gange. Gehst du ins Stadion, um dir Spiele bei der WM anzusehen?

 

Ich werde ab der Hälfte der WM auf Europa-Tour sein und kann die Spiele also nicht aus nächster Nähe erleben, aber ich würde gerne zu einem der Spiele gehen, solange ich noch hier bin.

 

Du hast zusammen mit MC Guime einen offiziellen WM-Song aufgenommen. Michel Platini soll ziemlich säuerlich geschaut haben, als du ihn bei der Auslosung aufgeführt hast. Wie ist dein Verhältnis zur WM und ihren Auswirkungen auf dein Heimatland Brasilien?

 

Tatsächlich ist der Song gar kein offizieller für die WM, aber er feiert einen tobenden Erfolg in Brasilien. Und von dem, was man hört, wohl auch im Ausland. Bei der WM-Auslosung bin ich mit der Sängerin Alcione aufgetreten. Ich konnte an nichts anderes denken als an die Ehre, mit ihr gemeinsam auf der Bühne zu stehen. Ich habe mir immer die Weltmeisterschaften angeschaut und zu unserem Team gehalten. Ich glaube nicht, dass ich ausgerechnet auf die WM im eigenen Land verzichten würde.  

 

Vor einem Jahr gab es große Unruhen in Brasilien. Die Mittelschicht ging auf die Straße, um gegen »Korruption« zu protestieren. Was hat sich seitdem getan?

 

Unsere Präsidentin hat öffentlich Maßnahmen verkündet von denen ein paar auch umgesetzt werden. Tatsache ist, dass die Proteste auf ihrem Höhepunkt den Fokus verloren haben. Ich war zu jener Zeit nicht in Brasilien. Aber so wie ich es von außerhalb habe mitverfolgen können, wirkte es auf mich, dass die Proteste aus vielen sehr unterschiedlichen Gründen erfolgt sind. Alle waren auf der Straße, aber jeder für etwas anderes. Die einen sind es wegen der Party, die anderen für das Volk, und wieder andere wollen in in Wirklichkeit eine reale Veränderung verhindern oder stören.

 

In deinem aktuellen Video »Levante e Anda« sieht man zwei Jungen, die sich in der Favela durchschlagen. In Europa herrscht die Vorstellung, dass in den letzten zehn Jahren die ökonomische und soziale Lage vieler Favela-Bewohner besser geworden ist. Irren wir uns? Wie ist die Lage in Sao Paulo, deiner Heimatstadt?

 

Ja, hier muss noch viel getan werden. Aber ich denke dass sich der Zugang zu Gütern und Dienstleistungen für die ärmste Bevölkerung in den letzten Jahren bedeutend verbessert hat — also zu jenen Dingen, zu denen vorher nur die reichste Schicht Zugang hatte. Übrigens ist es genau das  was diese Reichen stört: zu sehen, dass die arme Bevölkerung an den gleichen Orten wie sie verkehrt      

Chuck D von Public Enemy hat Rap mal als das »CNN der Schwarzen« bezeichnet — das ist in den USA lange vorbei. Was ist die Rolle von HipHop in Brasilien? 

 

In Brasilien gibt es unterschiedliche Strömungen im Rap. Ich schätze die Rolle des HipHop als Sprachrohr gegen Ungerechtigkeit und sozialer Ungleichheit. Aber ich denke, es ist auch notwendig zu respektieren, wenn man den politischen Aspekt nicht immer in die eigene Arbeit einfließen lassen will. Kunst muss frei sein. Ich rede über das, was mir gefällt und über das, was mich inspiriert.

 

Du bist einer der bekanntesten Rapper Brasiliens, aber hast bis heute keinen Plattenvertrag. Warum nicht?

 

Ich bin kein Feind der Labels. Ich war in dieser Hinsicht zwar schon ganz anders drauf, aber das bin ich heute nicht mehr. Ich habe keinen Vertrag mit einer Plattenfirma, weil mir bislang einfach noch kein Angebot gemacht wurde, das auch dann vorteilhaft für mich wäre, sobald ich meine Musik in deren Hände gegeben habe. Solange Plattenfirmen für mich nicht das tun, was ich selbst tun kann, habe ich zwar mehr Arbeit, bin dafür aber unabhängig.   

 

Wieso hast du zu rappen angefangen, anstatt dich den anderen Aspekten der HipHop-Kultur, Graffiti, DJing, Breakdance, zu widmen?

 

Alle Elemente der Hip Hop Kultur faszinieren mich, aber ich glaube, dass der Rap durch das Freestylen auf natürliche Weise in mein Leben kam. Ich freestylte mit meinen Freunden auf der Straße. Und das wurde immer besser und  hat schließlich einen MC aus mir gemacht.

 

Dein HipHop-Stil ist recht Backpacker-mäßig mit vielen Soul-Samples. Was sind deine größten Einflüsse?

 

Ehrlich gesagt sehe ich mich immer mehr vom Samba beeinflusst und zu ihm hingezogen. Ich entdecke große Parallelen zwischen Rap und Samba: Beide wurden marginalisiert. Ich denke, auf meinen letzten Stücken ist dieser Einfluss klar hörbar.   

Auf der Kölner Summer Stage wirst du gemeinsam mit Sergio Mendes, einem der bekanntesten Musiker Brasiliens, auftreten. Würdest du gerne mal mit ihm Musik aufnehmen?

 

Sicher. Er ist ein großer Meister unserer Musik.