Der Traum vom Fliegen

Animiertes Biopic: »Wie der Wind sich hebt« von Miyazaki Hayao

Schon seit einiger Zeit heißt es, Japans Anime-Großmeister Miyazaki Hayao wolle sich zur Ruhe setzen. Hätte das von ihm gegründete Animationsfilm-Studio Ghibli nicht seit zehn, fünfzehn Jahren ein Nachwuchsproblem, wer weiß, wie seine Filme ausgesehen hätten nach seinem Triumph mit »Chihiros Reise ins Zauberland« (2001). Die darauf folgenden Werke fügten jedenfalls allem offenbaren Genie zum Trotz dem Gesamtwerk wenig Neues hinzu. Was man von »Wie der Wind sich hebt« nicht behaupten kann: Hier betritt Miyazaki mit über siebzig doch noch einmal Neuland — mit einem ebenso betörenden wie verstörenden Meisterwerk, das wirklich wie eine Bilanz wirkt. Denn hier geht es um nicht weniger als das Wesen der Fantasie und was der Mensch bereit ist, für die Erfüllung seiner Träume zu tun, zu akzeptieren. 

 

»Wie der Wind sich hebt« erzählt die Geschichte von Horikoshi Jir? (1903-82), der unter anderem entscheidend an der Entwicklung der Mitsubishi A6M Zero be-teiligt war, dem wahrscheinlich berühmtesten Jagdflugzeug der kaiserlichen Luftwaffe zur Zeit des Fünfzehnjährigen Krieges — eine in Japan gebräuchliche Bezeichnung für die Zeit vom Beginn der Mandschurei-Krise 1931 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. »Wie der Wind sich hebt« verdankt seine melancholische, zu Zeiten ausgesprochen todessehnsüchtige Stimmung wiederum der 1937 veröffentlichten Novelle von Hori Tatsuo, einem Autor, in dessen Werk sich proletarisch-realistische mit modernistisch-dekadenten Elementen überraschend harmonisch ineinander verweben. Was auch für »Wie der Wind sich hebt« gilt.

Erzählt wird Horikoshis Leben von den späten Zehner- bis in die mittleren Dreißigerjahre sehr episodisch, mit oft wahnwitzig weit gezogenen Ellipsen. Vor einem freskogleich ausgebreiteten historischen Hintergrund geht es um eine eigentlich sehr kleine und private Geschichte — um die Liebe zu seiner an Tuberkulose leidenden Gattin Naoko und seine Leidenschaft fürs Fliegen. Durchzogen wird das alles von entschieden gesetzten, mit dem Surrealismus flirtenden Einschüben, in denen Horikoshi im Traum seinem italienischen Vorbild begegnet, dem Luftfahrtingenieur Giovanni Battista Caproni. 

 

Interessant ist, dass sich der dezidiert linke Miyazaki eine politisch derart ambivalente Figur wie Horikoshi als Projektionsfläche ausgesucht hat — und eigentlich auch schön. Denn der Filmemacher hat sich ebenfalls schon immer für den Flugzeugbau begeistert. Miyazaki hat mit seinen Visionen und Obsessionen allerdings nur Freude verbreitet. Andere fällten andere Entscheidungen. Ein jeder in seiner Zeit. Und wer weiß, ob nicht in jedem Traum sich ein Alb verbirgt.