Shell-Gelände in Köln-Godorf | Foto: Manfred Wegener / StadtRevue

»Shell hat Angst vor europäischen Gerichten«

Die Umweltaktivisten Paul de Clerck und Geert Ritsema arbeiten für den niederländischen Ableger von »Friends of the Earth« und beo­bachten seit langem die interna­tionalen Aktivitäten von Shell

Herr de Clerck, Herr Ritsema, zurzeit werden in den Niederlanden Klagen gegen Shell wegen der verheerenden Verschmutzungen im Niger-Delta verhandelt. Wie laufen die Verfahren?

 

Ritsema: Im Januar 2013 hat ein niederländisches Gericht entschieden, dass Shell einem nigerianischen Bauern, dessen Land von Öl verunreinigt wurde, eine Entschädigung zu zahlen hat. Allerdings wurde in drei anderen Fällen für Shell entschieden weil es nicht ausreichend Beweise für das Verschulden des Konzerns gab. Dagegen haben wir Berufung eingelegt.

 

Aktivisten bezeichnen das Urteil von 2013 als wegweisend. Warum?

 

Ritsema: Es war in Europa das erste Mal, dass ein europäisches Unternehmen zu Kompensationszahlungen für Schäden auf einem anderen Kontinent verurteilt wurde. Wenn dieses Urteil bestätigt wird, ist das ein wichtiges Werkzeug, um in Zukunft multinationale Konzerne für ihre Aktivitäten in aller Welt zur Rechenschaft zu ziehen.

 

Warum können die Menschen in Nigeria nicht vor Ort gegen Shell klagen?

 

Ritsema: Das nigerianische Justizsystem ist schwach und korrupt. Im Grunde herrscht dort Gesetzlosigkeit. Darum wollen wir Menschen aus Afrika, Asien oder Lateinamerika dabei unterstützen, vor europäischen Gerichten Recht zu bekommen. Davor hat Shell Angst. Ihre Anwälte argumentieren seit 2008, dass das niederländische Gericht in diesen Fällen nicht befugt sei, und sie haben auch gegen das Urteil von 2013 Berufung eingelegt. Aber im Juni diesen Jahres wurde dieses Urteil von einem britischen Gericht im Prinzip bestätigt. Und dort wurde Shell zu einer ungleich höheren Kompensa­tionszahlung verurteilt.

 

Das Urteil in den Niederlanden richtet sich gegen eine nigerianische Tocherfirma von Shell. Sie wollen aber auch den Mutterkonzern zur Verantwortung ziehen.

 

De Clerck: Wir sind der Meinung, wenn die Gewinne an die Zentrale gehen, müssen auch Verantwortung und Haftung dort liegen. Rechtlich ist der Mutterkonzern nicht verantwortlich für Schäden, die von Tochtergesellschaften verursacht wurden, außer wenn die Verantwortlichen im Bilde darüber waren, was passiert ist und keine geeigneten Maßnahmen ergriffen haben. Aber um das zu beweisen, braucht man Zugang zu internen Informationen aus dem Unternehmen.

 

Bekommen Sie diese denn?

 

Ritsema: Wir haben bereits im Jahr 2009 eine Anfrage eingereicht, um Zugriff auf interne Dokumente von Shell zu erhalten. Das Gericht hat unseren Antrag mit einem seltsamen Argument abgelehnt: Um Zugang zu diesen Dokumenten zu bekommen, müssen wir beweisen, dass die von uns vermuteten Beweise tatsächlich in diesen Dokumenten zu finden sind. 

 

De Clerck: Eigentlich wäre hier eine Umkehr der Beweislast nötig. Shell müsste beweisen, dass sie alle erforder­lischen Sicherheitsvorkehrungen getroffen haben. Und es sollte eine Verpflichtung für Unternehmen geben, interne Dokumente auf Nachfrage vorzulegen.

 

Dieses Verhalten scheint kein Einzelfall zu sein. Auch bei Shell Rheinland-Raffinerie gibt man sich in der Regel wenig auskunftsfreudig.

 

De Clerck: Wenn Shell-Verantwortliche für Debatten angefragt werden, weigern sie sich fast immer. Sie geben kaum Interviews, stattdessen gibt es lediglich Pressemitteilungen. Und sie schaffen es immer wieder, die Diskussion nach Störfällen in andere Richtungen zu lenken. In Nigeria wurde die Diskussion über die Ölverschmutzung durch Shell zu einer Diskussion über Sabotage durch die Bevölkerung vor Ort. Außerdem ist Shell mit einer Vielzahl von Entscheidungsträgern vernetzt.

 

Über welche Personenkreise reden wir da?

 

De Clerck: Der ehemalige Ministerpräsident der Niederlande, Wim Kok, war im Vorstand von Shell, und der ein­stige Finanzminister Wouter Boss arbeitete vor seiner politischen Karriere für den Konzern. Ähnliches geschieht in Großbritannien und anderen Ländern. Shell organisiert beispielsweise Öko-Marathons, die durch den Präsidenten der Europäischen Kommission eröffnet werden. Shell-Lobbyisten finden sich in jeder Beratergruppe und jedem Nachhaltigkeits-Projekt.

 

Ritsema: Dabei investiert Shell zunehmend in Energien wie Ölsand oder Schiefergas, die sehr schädlich für die Umwelt vor Ort und das Klima sind. Das hat sehr wenig mit Nachhaltigkeit zu tun. 

 

Wo erwarten Sie beide neuen Widerstand gegen Shell?

 

De Clerck: Zukünftig wird es um Shells Bestrebungen gehen, in der Arktis Öl zu fördern. Zudem ist Shell an einer Vielzahl von Fracking-Projekten beteiligt, in Argentinien, Südafrika, Australien oder in China.

 

Ritsema: Ich glaube, dass neben den internationalen Themen auch der Protest auf lokaler Ebene zunehmen wird. Im Norden der Niederlande gab es zum Beispiel zuletzt extrem viele Erdbeben als Folge von Gasbohrungen, die dort 50 Jahre lang durch Shell oder Exxon durchgeführt wurden. Diese Proteste werden hoffentlich kein Einzelfall bleiben.

 

Interview: Christian Steigels

 


Geert Ritsema ist der Kampagnenleiter »Energie und Rohstoffe« von Milieu­defensie. Er beschäftigt sich seit langem mit dem Öl-Konzern und engagiert sich für einen nachhaltigen Energiewandel.

 

Paul de Clerck hat Jura an der Universität Brabant studiert. Neben seiner Arbeit für Friends of the Earth engagiert er sich für mehr Transparenz beim Lobbyismus in der EU.