»Explizit politische Filme sind schlechte Kunst«

Kelly Reichardt über ihren neuen Film »Night Moves«, den amerikanischen Westen und das Filmen in freier Natur

Frau Reichardt, Ihre Filme spielen fast ausschließlich in der freien Natur. Das gilt auch für »Night Moves«, in dem drei Öko-Aktivisten einen Anschlag auf einen Staudamm verüben. Warum meiden Sie Häuser?

 

Bei meinem aktuellen Film waren die paar Tage, in denen wir Innenaufnahmen gedreht haben, die schwierigsten. Herauszufinden, wie man am besten mit vier unbeweglichen Wänden umgeht, ist eine echte Herausforderung für mich (lacht). Bei meinen letzten vier Filmen habe ich mit dem Autor Jon Raymond zusammengearbeitet, in dessen Texten Landschaften eine wichtige Rolle spielen — wahrscheinlich war es das auch, was mich zu seinen Kurzgeschichten hingezogen hat. Die Landschaften haben immer auch viel mit den Themen der Filme zu tun.

 

Ihre letzten vier Filme spielen alle in Oregon im Nordwesten der USA. Was interessiert Sie an diesem Bundesland?

 

Oregon ist einfach sehr vielfältig: Im Osten liegt eine Wüste, im Westen ist die Küste, dann gibt es viele Urwaldgebiete. »Night Moves« musste in Oregon oder im Nachbarstaat Washington spielen, weil dort die amerikanische Umweltbewegung ihren Anfang genommen hat. Aber eigentlich will ich gar keine Aufmerksamkeit mehr auf Oregon ziehen. Besonders Portland war einmal eine Stadt, in der man sehr gut billig und in Ruhe leben konnte — mittlerweile ist es dort genauso teuer wie in New York.

 

Denkt man an das Western-Genre, dann sind die Landschaften des amerikanischen Westens filmhistorisch geradezu mythisch aufgeladen. Hat das für Ihre Arbeit noch eine Bedeutung?

 

Für Romantiker repräsentiert der Westen der USA die Möglichkeit, sich neu zu erfinden. Aber die Dinge haben sich geändert. Es ist schwer, das Gebiet noch auf einen Nenner zu bringen: Jeder Teil ist so unterschiedlich. Ich fahre relativ häufig mit dem Auto von New York aus an die Westküste. Wenn man Kansas hinter sich gelassen hat, fühlt man die Veränderung. Plötzlich spielt die Natur eine eine größere Rolle.

 

Die meisten Figuren in Ihren Filmen könnte man als »Verlorene« bezeichnen. Was reizt Sie an solchen Menschen? Handeln nicht alle Filme in irgendeiner Weise von Verlorenen?

 

(lacht) Eigentlich gibt es doch gar keine anderen interessanten Geschichten.

 

Bei Ihnen kommen die Figuren am Ende aber nicht irgendwo an, sondern wirken eher noch verlorener als am Anfang.

 

Ja, unsere Protagonisten werden eher immer verwirrter, je weiter sie fortschreiten. So ist das eben bei einer Suche: Man entdeckt, dass das Leben voller Mehrdeutigkeiten ist und man immer weitersuchen muss.

 

In der Beschreibung Ihrer Filme fällt oft das Wort »Realismus«, was für das amerikanische Kino ja eher ungewöhnlich ist. Sehen Sie sich in dieser eher europäischen Filmtradition?

 

Über solche Sachen denke ich nicht nach. Sicher sind meine Filme nicht sehr kunstvoll gemacht, aber ich hoffe, dass sie auch nicht banal sind. Ich hoffe, dass der handwerkliche Rahmen solide ist und dass in diesem Rahmen viel Platz für Mehrdeutigkeiten bleibt. Das wäre mein Ideal.

 

Ärgern Sie sich, wenn Ihre Filme als langsam bezeichnet werden?

 

Ich finde meine Filme nicht langsam. Jeder von ihnen hat den Rhythmus, den die Geschichte verlangt. Wenn man, wie im Fall von »Meek’s Cutoff«, einen Film macht über Leute, die Mitte des 19. Jahrhunderts zu Fuß eine Wüste durchqueren, und über die Monotonie dieser Reise, kann man keine moderne Zeitauffassung zu Grunde legen. Dieser Eindruck entsteht vielleicht auch, weil mich Details und kleine Momente interessieren, die gewöhnlich übersehen werden. Heute läuft vieles zu schnell. Die Gegenwart fühlt sich wie eine Attacke auf die Sinne an. Ich will aber einen Film nicht wie ein Daumenkino erleben. Es gibt also gute Gründe, diese Maschine nicht zu füttern, die ständig neue Reize verlangt.

 

Kann Langsamkeit auch Spannung erzeugen?

 

Sicher. Wenn man, wie etwa bei »Night Moves«, mit einem Genre-Gerüst arbeitet, erwarten die Zuschauer — wahrscheinlich noch nicht einmal bewusst —, dass nach ungefähr 30 Minuten eine Wendung passiert. Erfüllt man diese Erwartung nicht, hält das die Zuschauer gespannt. Wenn man also dem Publikum nicht erlaubt, dieses Jucken im richtigen Moment wegzukratzen, kann das genau die Art von Unbehagen erzeugen, die man für die Geschichte braucht.

 

Wie kamen die Thriller-Elemente in den Film?

 

Die ursprüngliche Kurzgeschichte von Jon Raymond spielt auf einer Farm, auf der sich ein Mann versteckt, der eine politisch motivierte Straftat begangen hat. Dort verliebt er sich dann. Leider war die Geschichte sehr dialoglastig, was ich nicht so mag. Also hatten wir die Idee:

 

Was wäre, wenn man die Action zeigt, also den Anschlag und seine Vorbereitung?

 

Vorbild waren Filme wie »Rififi«, in denen ein Raub in allen Einzelheiten ausgetüftelt wird. So etwas macht mir Spaß: Leute bei ihrer Arbeit zu zeigen.

 

»Night Moves« handelt von politisch motiviertem Terrorismus. Ist es auch ein politischer Film?

 

Für mich ist es kein politischer Film. Es ist ein Film über Menschen, die politisch motiviert sind. Als wir das Drehbuch geschrieben haben, haben wir versucht, selber keine politische Agenda zu verfolgen. Natürlich sind wir politisch denkende Menschen, aber der Film handelt von bestimmten Figuren und wie diese in einer Gruppe agieren. Explizit politische Filme sind schlechte Kunst.