Stürmen und drängen

»Die geliebten Schwestern« von Dominik Graf

Mit Bildern einer vom rappelnden Rollen einer Kutsche nicht ganz sanft in ihrem Schlummer gewogenen jungen Dame beginnt »Die geliebten Schwestern« und mit den Worten: »Im Herbst 1787 trat die junge Charlotte von Lengefeld in den Dienst ihrer Patentante in Weimar.« Schon bald wird sie dort den aus dem Württembergischen verbannten Friedrich Schiller kennenlernen — und der durch sie ihre verheiratete Schwester Caroline. Die Lengefeld-Schwestern und Schiller versuchen, ein Leben zu dritt zu führen, dabei aber auch den Verpflichtungen der Gesellschaft genüge zu tun: Ihre Füße stehen noch in der alten Feudalkultur, der Kopf schnuppert schon die Romatikluft, welche ihre Herzen schneller schlagen lässt.

 

»Die geliebten Schwestern« ist allein schon deshalb ein Meisterwerk, weil Regisseur und Drehbuchautor Dominik Graf die Geschichte dieser Liebe mit dem Willen erzählt, sich den Serpentinenwegen dieses Gefühlswirrwarrs anzuvertrauen: mit einer Faszination für die Lebensgewohnheiten, den Klang und die Oberflächen jener Epoche und einer am internationalen Kino der 70er Jahre geschulten Modernität. Aber es geht ja noch um mehr: nämlich um die Weimarer Klassik und die Geburt eines emanzipierten Bürgertums.

 

Die Lengefelds, Schiller und ihr Umfeld leben im Bewusstsein einer Zeitenwende: Ihre Träume von einem sozialen Miteinander, bei dem Gefühle (und Sex) nicht als prinzipiell getrennt vom Gesellschaftsalltag gedacht werden, sondern als etwas Unteilbares, spiegeln die Revolutionsideale wieder, welche sich bald in Frankreich blutig Bahn brechen werden. Das verunsichert die Protagonisten, lässt sie das Projekt Weltumbruch auf die nächste Generation verschieben. Graf versteht diese inneren und äußeren Bewegungen, dieses Begehren und Zaudern, Rasen und Verzagen nur zu gut. Er weiß, dass es genau jenes Stürmen und Drängen manchmal braucht, damit sich die Dinge verändern. Angesichts der Selbstzufriedenheit, Prüderie und Lethargie der Gegenwart wirkt »Die geliebten Schwestern« in seiner heiteren Pracht und lebensweisen Herrlichkeit wie eine Flaschenpost aus einem erstrebenswerten Morgen.