»Ich denke immer nur an die Kunst, Kunst, Kunst«

Niobe über Narzissmus, Unabhängigkeit und die weiten Räume der freien Assoziation

Sie ist eine begnadete Sängerin und zugleich eine herausragende Klangkünstlerin. Doch in Deutschland wird Yvonne Cornelius alias Niobe als Nischenmusikerin wahrgenommen. Dabei hat die Kölner Musikerin weltweit prominente Fans, darunter David Byrne, der ihr Album »White Hats« 2007 zu seiner Nummer eins des Jahres kürte. Mit ihrem hochverdichteten siebten Werk »Child of Paradise« macht Niobe erneut deutlich, dass sie sich in der Popgeschichte zwar gut auskennt, sich selbst aber einem konsequenten Avantgardismus verpflichtet fühlt.

 


»Child of Paradise« — ist der Albumtitel eine Selbstbeschreibung?

 

 

Der Titel bezieht sich auf das ideale Wesen, das ich mir vorstelle und das ich auch kenne. Ich habe gute Erfahrungen mit Menschen gemacht. Ich finde überhaupt nicht, dass jeder verrückt ist oder eine dunkle Seite hat. Es gibt Menschen, die einfach großartig sind. Ich habe allerdings im letzten Jahr gelernt, dass es narzisstisch gestörte Menschen gibt, die uns allen das Leben zur Hölle machen, denen wir zum Beispiel die Weltkriege zu verdanken haben, die einem ein Bein stellen müssen — nicht wollen. Ich habe mit denen unendlich viel Mitleid. Auf meiner Platte geht es um diesen Themenkomplex. Ein Rätsel, dass mich schon seit Jahrzehnten begleitet: Warum möchten Menschen anderen Menschen schaden? Erst durch die Autorin Alice Miller kam ich auf die Lösung, dass es diese narzisstische Persönlichkeitsstörung gibt. Da ist dann unheimlich viel von mir abgefallen an Fragen, an Kummer, an Sorgen. Das war wie eine Befreiung.

 

 

Korrespondiert das Artwork des Albums mit dem Thema? Du posierst wie ein Torero, der statt mit einem Messer, mit einer Blume zusticht?…

 

 

Nein, das Foto wirkt auf mich wie aus einer anderen Zeit, wie aus den 40er-Jahren. Ich habe die ganze Platte darauf ausgerichtet, quasi nach dem Cover gearbeitet. Auf mich wirkt es eher asiatisch. Diese Torero-Assoziation hatte ich gar nicht im Sinn. Aber jetzt, wo du mich darauf hinweist, ist sie natürlich voll da.

 


Spiegelt sich das Thema des Albums denn nur in der Musik wider oder auch in den Texten?

 

 

Die sind ja zum großen Teil in einem Fantasie-Englisch gehalten. Ich möchte den Zuhörern einen Gefallen tun und ihnen nicht alles vortexten. Es soll die Musik sein, die die Assoziationen und Bilder schafft, deswegen gibt es von mir auch so wenig Videos. In den Tönen sind schon so viele Geschichten. Ehrlich gesagt singe ich schon immer konkrete Texte, aber ich singe sie gerne so ungenau wie möglich. Ich habe diesmal fast keine Pseudosprache benutzt. Ich habe je sehr gute Texter, die seit Jahren für mich die Lyrics schreiben, das sind echte Poeten. Ich habe eine Hochachtung vor Menschen, die gut mit Sprache umgehen können. Aber gerade Engländer und Amerikaner lieben meine Musik und schätzen den Assozia­tionsraum, der durch das Undeut­liche entsteht.

 


Du greifst oftmals Genres auf — etwa die Crooner-Ballade —, um sie inhaltlich zu entkernen und auf eine neue Ebene zu hieven. Kann man das als Meta-Musik bezeichnen?

 

 

Ja, ich habe mich wirklich für die Avantgarde entschieden. Ich kann mir nicht viel Musik anhören. Ich brauche Albert Ayler, ich brauche John Zorn, ich werde krank, wenn ich Spice Girls höre. Bei Musik, die andere Leute nebenbei hören können, muss ich mir die Ohren zuhalten. Barock- und Renaissance-Musik kann ich gut ertragen, Bach, Scarlatti. Ich will die Musik weiterführen und mitbestimmen, wohin sie geht. Durch Avantgarde-Leute und Indie-Labels wird Musik in eine Richtung gebogen, die mir sehr gut gefällt. Als ich aufwuchs, hatten lediglich geldgierige Manager, die von Musik keine Ahnung hatten, die Hebel in der Hand. Heute wird das ganz schön gestört. Ich finde Lana Del Ray lange nicht so schlimm wie Spice Girls. Ich höre das nicht, aber ich bin froh, dass das heute Mainstream ist.

 


Du erfüllst alle musikalischen und visuellen Voraussetzungen erfüllen, um — ähnlich wie Björk oder Róisín Murphy — auch im breitenwirksamen, kommerziellen Popkontext reüssieren zu können. War dieser Weg nie eine Option?

 


Im Gegenteil, ich kann solche Musik nicht hören, da kommen mir körperliche Schmerzen. Es ging mir immer nur um die pure Musik. Ich lebe total zurückgezogen und bin glücklich mit meinen Freunden hier in Köln. Bei der Vorstellung, nach vorne gestoßen zu werden, über einen roten Teppich laufen zu müssen, um einen Preis entgegenzunehmen und sagen zu müssen: »Ich danke meiner Mama«, stehen mir die Haare zu Berge. Ich möchte eher wie der stille Comiczeichner-Star sein, den keiner wirklich kennt.

 


Mir stellt sich die Frage, weil du etwa über deine Cover schon auch Signale sendest, die darauf schließen lassen, es handle sich um Pop. Du benutzt dein visuelles Image als Teil des Konzeptes: Da sehe ich eine attraktive Frau, die sich als Star inszeniert und es werden Pop-Begehrlichkeiten getriggert.

 

 

So betrachte ich das gar nicht. Ich denke da eher an Julie London, an die Burt-Bacharach-Zeit. Ich finde das Foto sensationell, obwohl ich mich selbst darauf gar nicht so toll finde. Es könnte auch eine Hawaii-Platte aus den 60ern sein. Die Cover sind mir schon sehr wichtig. Aber ich denke dabei immer nur an die Kunst, Kunst, Kunst.

 


»Child of Paradise« ist bereits auf Ongaloo Records (Broken Silence) erschienen.