So nah wie möglich bei sich selbst

Svey macht R&B ohne Selbstschutz

Ein lyrisches Ich ist Selbstverarsche. So könnte man den Grundsatz zuspitzen, mit dem Svey Musik macht. Svey, das ist das neuste musikalische Projekt der 20-jährigen Kölnerin Svenja, die ihrem Nachnamen keine Bedeutung für ihre Musik beimisst. Auf die Frage, wie sie das Interview beginnen würde, wenn sie ohne Frage darauflos reden sollte, antwortet sie nur: »Ich glaube, ich würde noch eine Runde schweigen«. Denn in ihren Texten sagt sie bereits alles. Sie erzählt. Kein lyrisches Ich, keine Kunstfigur.

 


Pop-Theoretiker Diedrich Diederichsen schreibt zwar, dass es in der Pop-Musik unentscheidbar sei, ob »der Protagonist eine wirkliche oder erfundene Person ist« und hat damit wohl Recht. Doch Svenja will mit Svey so nahe wie möglich an ihrer wirklichen Person bleiben,  denn erfunden hat sie bereits eine und gereicht hat sie ihr nicht: Svendetta war die Karikatur einer Assi-Rapperin. Das Gesicht voller Schminke, Kreolen, Jogginghose, Kaugummiblasen. »Köln West represent«. Svenja erklärt: »Im Endeffekt habe ich gedacht, dass ich mich hinter Svendetta verstecke. Ich dachte, wenn mir das Spaß macht, warum macht es mir dann keinen Spaß über die Sachen zu reden, die mir eigentlich auf der Seele liegen? Das Projekt war genau deshalb wichtig für mich, um zu erkennen, dass es Selbstverarsche war.«

 


Svey ist, so sagt Svenja selbst, die Summe aus den Erfahrungen, die sie als Künstlerin und Lebewesen gesammelt hat. Elf Mal umgezogen ist sie, hat an verschiedenen künstlerischen Projekten von Indie auf Akustik-Gitarre bis zum besagten Rap-Projekt gearbeitet. Aber Summe der Erfahrungen ist nicht genau genug. Wenn man Sveys Songs hört, hat man das Gefühl, dass dieses Projekt vor allem die Summe der Ehrlichkeit ist, die Svenja sich selbst gegenüber aufgebracht hat. In ihren Texten schont sie sich nicht, gesteht sich Fehler ein, arbeitet auf. »I‘ve built my walls until the ground broke« lautet eine dieser Zeilen, die nach seelischer Nacktheit in einer kleinen Zelle klingen. Vor allem aber winden sich viele Zeilen unter dem Versuch loszulassen. Darauf angesprochen antwortet lacht Svenja: » Absolut. Wobei Loslassen gar nicht so leicht ist, wenn man das Geschehene erstmal textlich festhält.« Da darf man dann ruhig baff sein und in der Folge einfach mal über Musik reden.

 


Das Erstaunliche an Svey ist, dass ihr Sound nach dem Puls der Zeit klingt, obwohl sie nur ihren eigenen Puls fühlt. Svey versteht ihre Musik nicht als kontemporär, sondern als die einzig mögliche, die sie gerade machen kann. Sie sagt, sie habe keine Ahnung, welche Künstler gerade aktuell seien und wer welches Album veröffentliche. Dabei veröffentlicht eine Künstlerin im August ihr Debüt­album, mit der man Svey am besten vergleichen kann: FKA Twigs. Die Musikerin aus London prägt derzeit den Sound des neuen R&B wie keine zweite. Sveys Sound ist sehr ähnlich, nur produziert sie ihn ausschließlich selbst. Ihre Musik nimmt die emotionale Entrücktheit von Aaliyah und paart sie mit dem dunklen, elektronischen Sound von Massive Attack oder Tricky. Synth-Lines und Bass  drücken Sveys fragile Stimme in die Tiefe, hallende Percussions, Details verlieren sich im Raum. Nur durch die ihr innewohnenden Emotionen schafft es die Stimme wieder an die Oberfläche zu brechen. Das ist nicht mehr der R&B, der Hotpants prall ausfüllt und sexy Eis vor einem Cadillac schleckt. Sondern R&B, der ausgebrannt ist; R&B der keine Champag­ner-Partys in Whirlpools schmeißt, sondern sich in einer Mietwohnung den Arsch abfriert.

 


Trotzdem ist jener Ort zu hören, der schon immer zum R&B gehörte: der Club. Svenja will diese Ansicht erst nicht teilen. Doch nach längerem Schweigen erklärt sie: »Es zieht mich in Clubs, aber wenn ich da bin, dann möchte ich einfach nur wegrennen, fühle mich gefangen und bedroht von den Klängen.« So bleibt der Club für Sveys Musik ein wichtiger Aspekt, nur eben in ungewöhnlicher Funktion. Denn der Club ist der ungewöhnlichste Ort, in dem das Gefühl aufkeimt, das die stärkste Wirkung in Sveys Musik entfaltet: das Gefühl der Isolation. »Ob jetzt mit mir selbst, oder in der Masse und Clubs -Isolation ist das Stichwort. Es hat niemand Teil an meinen Gefühlen in diesen Momenten.«

 


Mit Svey lässt Svenja nun alle teilhaben. Wenn sie über ihr Projekt spricht, dann klingt es, als stünde es noch auf wackligen Beinen in der Welt; ja, als wäre es noch nicht ganz in der Welt angekommen. Doch Svey redet nicht etwa so vorsichtig über ihre Musik, weil sie sich ihr nicht sicher ist. Sondern gerade weil sie sich sicher ist und dieses Gefühl als sehr wertvoll empfindet. »Ich glaube, ich möchte einfach zu diesem Zeitpunkt noch nicht so viel verraten, weil ich das Gefühl habe, dass es die letzten Minuten sind, in denen es noch ganz mir gehört.« Und so hat sie nicht viel mehr verraten, als dass es im August ein erstes Video geben wird. Man kann diese Vorsicht nachvollziehen. Denn schließlich schickt sie sich selbst da raus in die Welt. Ohne Schutz.