Bernd Wilberg

Scharf ist stumpf

Auf die Würze käme es an, las ich neulich als Werbespruch auf einem Imbisswagen. Eben das ist falsch. Vielmehr kommt es auf hochwertige Zutaten an. Gewürze und Kräuter können diese Zutaten niemals verbessern. Doch auch jenseits der Ramschnahrung setzt sich derzeit der Glaube durch, es käme vor allem auf die Würze an. Die viel gepriesene »Kräuterküche« und das hemmungslose Hantieren mit Gewürzen bergen die Gefahr, dass uns durch immer neue aromatische Knalleffekte das sensorische Gespür mehr und mehr abhandenkommt. Es wäre der dialektische Umschlag der Verfeinerung: Wer alles mit Zitronengras, Knoblauch und modischen Trend-Aromen übertüncht, der schmeckt bald gar nichts mehr.

 

Gewürze sollten bloß dazu dienen, in der Abfolge des Schmeckens etwas Interessantes hinzuzusetzen. Bei stark gewürzten Gerichten, vor allem aber bei scharfen, gibt es keine sensorische Dramaturgie mehr. Diese Küche ist in ihrer Eindeutigkeit quasi autoritär.

 

Aus kulinarischer Sicht spricht so gut wie nichts für Schärfe; in der Hochküche — also dort, wo der Genuss keinem Zweck mehr Untertan ist — haben sich diese Exzesse der Schärfe deshalb auch nicht etabliert. Scharfes und überwürztes Essen mag unter bestimmten Umständen physiologisch vorteilhaft sein; das aber kann keine maßgeb­liche Kategorie sein. Und es ist lächerlich, sich als Kosmopolit zu fühlen, wenn man in einem mittelklassigen Asia-Imbiss Gerichte wählt, die mit drei Chili­schoten gekennzeichnet sind. Nur den besten Köchen in den besten Restaurants gelingt es, Schärfe klug einzusetzen. Essen, bei dem man den Eindruck hat, es stände unter Starkstrom, ist bloß kulinarischer Kitsch. Es verblödet unsere Sensorik.

 

Dass es auf die Würze ankäme, ist übrigens auch das große Missverständnis, das in der vegetarischen Bewegung kursiert. Es gibt viele Gründe, auf Fleisch zu verzichten. Aber kulinarisch ersetzen lässt es sich, wenn es hochwertig ist, eben nicht: Was sich mit Tofu, Seitan und dergleichen ersetzen lässt, ist Fleisch, das nach nichts schmeckt. So wie man es von Imbissbuden kennt, wo es nur der Träger für plumpe Soßen ist.