»Es braucht die Kraft der Vorbilder«

Das 13. Afrika-Filmfestival Jenseits von Europa präsentiert aktuelles Kino aus Afrika — ein Interview mit dem diesjährigen Schirmherrn, dem burkinischen Regisseur Dani Kouyaté

Herr Kouyaté, Sie haben die Schirmherrschaft des diesjährigen Kölner Afrika-Filmfestivals übernommen. Glauben Sie, dass solche Events notwendig sind, weil sonst die Filme des Kontinents unterrepräsentiert wären in Europa?

 

Es gibt viele tolle Filme auf der Welt, die alle gerne auf die internationalen Festivals eingeladen werden würden. Aber diese Festivals sind sehr wählerisch. Daher ist es klar, dass ein Festival, das ausschließlich für afrikanische Filme reserviert ist, eine außergewöhnliche Plattform bietet, um eine europäische Öffentlichkeit zu erreichen. 

 

In Ihrem neuen Film »Soleils« kritisieren Sie europäische Denker der Aufklärung für ihre Urteile über Afrika, ohne selbst jemals auf dem Kontinent gewesen zu sein. Kann ein Filmfestival, zumindest ansatzweise, die Reise ersetzen und Europäern einen realistischen Eindruck vom gegenwärtigen Leben dort geben?

 

Seit der Berlin-Konferenz im Jahr 1885, bei der die afrikanischen Grenzen durch die Kolonialmächte gezogen wurden, spricht Europa für Afrika, und es tut sich immer noch sehr schwer damit, der Stimme Afrikas zuzuhören. Aber wir können sehr gut selber für uns sprechen. Die afrikanischen Filmfestivals in Europa arbeiten in dieser Hinsicht daran, die Dinge in Ordnung zu rücken.

 

Afrikanische Filme werden meist mit europäischen Geldern finanziert. Glauben Sie, es besteht dadurch die Gefahr, dass Filme entstehen, die eher europäischen Geschmäckern entsprechen und europäische Vorstellungen von Afrika bedienen?

 

Falls es unsere Filme eines Tages schaffen, auf dem kommerziellen europäischen Markt zu funktionieren, dann könnte die Gefahr, von der Sie sprechen, wirklich drohen. Aber das ist ein Problem, das nicht allein Afrika betrifft. Es geht dabei um die viel größere Frage nach dem teuflischen Verhältnis zwischen Kunst und Geld.

 

Sie wurden in Burkina Faso geboren und studierten in Frankreich. Inwiefern sehen Sie sich überhaupt als »afrikanischen« Filmemacher?

 

Die Tatsache, dass ich Afrikaner bin, ist ein Fakt. Aber Afrika ist riesig, vielseitig und komplex. Man muss die Einzigartigkeiten der einzelnen Länder und vor allem der Künstler respektieren. Wenn vom »afrikanischen Kino« gesprochen wird, werden aber meist Klischees, Verallgemeinerungen und Vorurteile benutzt. Das führt dazu, dass manche Künstler sich von dieser Bezeichnung lieber distanzieren.

 

Westliche Filme über Afrika zeigen oft spektakuläre Landschaften und als Kontrast dazu Krieg, Hunger oder brutale Diktaturen. Besonders in Ihrem neuen Film geben Sie dagegen positive Beispiele von aufgeklärten Herrschern und zeigen die reiche Geschichte des Kontinents. Kann man Wandel ihrer Meinung nach besser durch positive Beispiele herbeiführen als durch Kritik an bestehenden Missständen?

 


Ich verherrliche ja nicht das, was nicht gut läuft, oder verschließe meine Augen davor. Aber mittlerweile gibt es eine reflexartige Reaktion, dass wenn man ein positives Afrikabild zeigt, es gleich als etwas Anachronistisches angesehen wird. Abgesehen davon braucht es auch die Kraft der Vorbilder. Es ist eine Frage der Balance.

 


Können Sie den Inhalt und die Bedeutung der »Mandé Charta« erklären, die in »Soleils« eine wichtige Rolle spielt?

 

Die »Charte du Mandé« stammt aus dem 13. Jahrhundert, aus dem Königreich Mali unter der Herrschaft von Soundiata Kéita. Dieser visionäre Herrscher war der erste, der die Sklaverei auf seinem gesamten Herrschaftsgebiet abschaffte. Er hat eine Verfassung verabschiedet, und deren erster Artikel ähnelt erstaunlicherweise dem ersten Artikel der universellen Erklärung der Menschenrechte, die seit 1948 gilt — 700 Jahre nach Kéita. Darin steht etwa Folgendes: »Alles Leben ist heilig. Kein Leben ist einem anderen überlegen oder unterlegen.«

 


Sie kommen aus einer Familie von Griots, also von traditionellen Geschichtenerzählern, wie auch einige andere afrikanische Filmemacher. Würden Sie sagen, sie setzen diese Tradition mit ihren Filmen fort?

 

So viele Filmemacher aus Griot-Familien gibt es gar nicht. Das ist bedauernswert, weil die Griots traditionell die Kulturträger ihrer Gemeinschaften sind. Sie sind dazu bestimmt, die Märchen zu erzählen, die großen Geschichten, von denen das Kino profitieren könnte. Die Griots sind vor allem Kommunikatoren. Sie haben schon immer mit allen Mitteln erzählt, die ihnen zur Verfügung stehen. Heute ermöglicht das Kino als universelles Kommunikationsmittel den Griots, ihre Mission auf sehr effiziente Art und Weise zu erfüllen. Lange vor der Ankunft des Kinos bei uns in Burkina Faso hat mein Großvater Lautsprecher benutzt. Zu seiner Zeit war das die moderne Technik. Er hat sich dabei nie die Frage nach seinem »Afrikanischsein« gestellt. Sie waren einfach nur ein Hilfsmittel, weil er dann nicht mehr so schreien musste, um verstanden zu werden. Es war sehr effizient, und das war das Wichtigste. Mit dem Werkzeug Kino versuche ich, das gleiche zu machen.