Den Bankern aufs Maul geschaut

Andres Veiel wagt sich mit »Das Himbeerreich« an die Psychoanalyse der Finanzkrise

Vielleicht war die Finanzkrise ja nur ein Gerücht. Das mediale Hysterie-Barometer ist jedenfalls längst ins Niedrigdruckgebiet gefallen. Wen interessiert schon das Wetter in Griechenland, außer wenn wir dort Urlaub machen? Hauptsache die Sonne scheint hier und lässt im »Himbeerreich« die Früchte wachsen. Mit diesem Begriff hatte die RAF-Terroristin Gudrun Ensslin die konsumistisch überzüchtete BRD bezeichnet, und genauso nennt der Dokumentarfilmer Andres Veiel sein Theaterstück, das auf Interviews mit 25 Bankern basiert.

 

Die meisten sind altersbedingt abgewickelt oder laborieren am xten Burnout. Einige drehen eine Warteschleife. Allen ist gemein, dass sie unter Zusicherung der Anonymität überraschend freizügig aus dem Nähkästchen plaudern. Zwischen systemischen Einblicken in den Maschinenraum des Investmentbankings und ihren narzisstischen Betroffenheitsoden lässt Veiel diese Finanzelite als Fünfer-Bande oszillieren. Damit verliert sich das Stück nicht in abstrakten Analysenhöhen — Systemen ist nun mal im Theater schwer beizukommen.

 

Naturgemäß geht es um Spekulationen auf Lebensversicherungen von Todkranken, die ums Verrecken nicht sterben wollen und Risiko-Immobilien. Es geht um Wetten auf irgendeine Baisse, hoch-spekulative Geschäfte, gegen die der Skeptiker zynisch ein bisschen anstänkert. Zuhauf gibt es billige Merksätze wie den vom »Risiko und Ertrag als siamesische Zwillinge«. Die Kampfmetaphern stehen sich gegenseitig auf den Füßen.

 

Doch je näher der fünfte und letzte Akt rückt, je übler wird die Selbstviktimisierung, mit der sich die Banker zum Opfer des Systems stilisieren und in die Höhen der Theodizee versteigen. Nicht, dass man die Brokerphrasen so nicht erwartet (alles authentisch, versichert der Autor!), dass man die Indo-lenz und Habsucht nicht genauso vorausgesehen hätte. Das Finanzsystem wird so nicht durchschaubarer, aber vielleicht die Auswirkungen auf die Finanzjongleure und ihre déformation professionelle.

 

Für die Kölner Fassung hat der Wirtschaftsjournalist und Prozessbeobachter im Oppenheim-Esch- Prozess Werner Rügemer einen satirischen Text aus der Innensicht eines Angeklagten beigesteuert. Auch wenn das Stück kaum Auswirkungen auf die hiesige Politik haben wird, lehrreich wird dieser Abend voller kalter Banker-Herzen, den der junge Regisseur Stefan Hermann inszeniert, allemal.