Von der Leinwand ins Fernsehen

Immer mehr aktuelle TV-Serien adaptieren Kinofilme. Das geht ohne Qualitätsverlust, zeigt die Cologne Conference am Beispiel »Fargo«

Alle Welt scheint sich darin einig zu sein, dass wir ein Goldenes Zeitalter für Fernsehserien erleben. Das Lamento über den betrüblichen Zustand des Hollywoodkinos erklingt daher in den Feuilletons umso lauter, wenn zum Kontrast ambitionierte TV-Produktionen herbeizitiert werden. Da wirkt es auf den ersten Blick paradox, dass aktuell gleich mehrere Serien wie »Fargo«, »Hannibal«, »About a Boy«, »From Dusk Till Dawn« oder »Bates Motel« noch einmal unumwunden dem Kino nacheifern.

 

Jahrzehntelang boten Serienadaptionen von Spielfilmen wie »M.A.S.H.« und »In der Hitze der Nacht« kaum mehr als einen Abklatsch des jeweiligen Originals, billiger produziert und weniger prominent besetzt. Das hat sich geändert. Billy Bob Thornton, der in »Fargo« eine Hauptrolle spielt, hat in Interviews die Serien von heute mit dem mittleren Marktsegment des Kinos gleichgesetzt, also teuren Independent-Filmen und mäßig teuren, aber ambitionierten Studio-Produktionen. Folgerichtig spielt in der Serie »Fargo«, die auf der Cologne Conference vorgestellt wird, neben dem Oscar-Gewinner Thornton mit Martin Freeman der Hauptdarsteller einer Blockbuster-Trilogie (»The Hobbit«) eine weitere zentrale Rolle. Bezeichnend ist, dass man genau hinsehen muss, um in einer Nebenrolle einen Liebling des New-Hollywood-Kinos der 70er Jahre zu erkennen. Noah Hawley, der Autor und kreative Leiter von »Fargo«, setzt Keith Carradine so diskret ein, als wolle er demonstrieren, dass die Serie den verblassten Glanz alter Leinwandbekannter gar nicht nötig hat.

 

Wie der gleichnamige Film der Coen-Brüder von 1996 beginnt auch die Serie mit einer Texteinblendung, die den Wahrheitsgehalt des Geschehens behauptet — und schlicht eine Lüge ist. Damit enden jedoch schon die eindeutigen Parallelen. Durch eine kurze Rückblende in der vierten Episode wird zwar klar, dass die Serienhandlung einen losen Faden des Plotgeflechts vom Kinovorbild aufgreift; ansonsten hat die Handlung mit der des Originals aber kaum etwas zu tun. Die Analogien zum Vorbild ergeben sich eher aus dem Lokalkolorit, dem Rhythmus, dem Erzählton und der Figurenkonstellation.

 

Die flache Landschaft des Mittleren Westens ist erneut schneebedeckt, und das Provinzleben scheint vordergründig wieder unaufgeregt. In der resoluten Molly hat die im Original von Frances McDormand verkörperte Kleinstadtpolizistin eine würdige Nachfolgerin gefunden, während der kleinlaute Versicherungsvertreter Lester offensichtlich geistesverwandt mit jenem Tölpel ist, der bei den Coens von William H. Macy gespielt wurde. Der diabolische Lorne Malvo (Thornton), der hier zufällig in einem fiktiven Kaff in Minnesota strandet, wirkt dagegen wie von einem jüngeren Film der Brüder inspiriert: Nicht nur wegen seiner kuriosen Frisur erinnert der fiese Killer an Javier Bardems Figur aus »No Country For Old Men«.
So streut die Serie, ohne einen Handlungsstrang oder eine Figur zu kopieren, immer wieder Anspielungen auf das Werk der Coens ein. Das Ergebnis ist eine verspielte Selbstreferenzialität, die der der Vorbilder ähnelt. Das heißt allerdings auch, dass die Referenzen hier ebenso wenig als Respektbekundungen wirken wie die zweckfreien Anleihen, die die Brüder gerne bei der Filmgeschichte machen. Hawleys Serie will offenkundig unabhängig vom Original bestehen können.

 

Das serielle Format trägt vielleicht sogar dazu bei, die Coens in einem entscheidenden Punkt zu verbessern: Wenn Lester unabsichtlich zum Auftraggeber eines Mordes wird, wird die blutige Kettenreaktion zwar aus derselben spöttischen Distanz erzählt, die die Filmemacher-Brüder gerne gegenüber ihren Figuren einnehmen; da jedoch keine Serie zehn Episoden lang funktionieren kann, wenn das Publikum nicht wenigstens einen Teil des Ensembles ins Herz schließen darf, erlaubt »Fargo« so viel Anteilnahme wie kaum ein Coen-Film: In Gestalt Mollys und ihres ebenso bodenständigen Polizeikollegen Gus treten zwei hinreißende Figuren auf, denen man dringend wünscht, dass ihnen ein typisch zynischer Coen-Tod — für den Thorntons Lorne jederzeit zu sorgen droht — erspart bleibt.

 

Thornton hat in den oben zitierten Interviews übrigens betont, dass er unbedingt dem Kino erhalten bleiben will. Allerdings gab er zu Protokoll, gerne in »30 Rock« auftreten zu wollen — offenbar nicht ahnend, dass die Comedy-Serie längst eingestellt wurde. Allzu genau scheint man die aktuelle Blüte des seriellen Erzählens also in Filmstarkreisen noch nicht zu verfolgen.