»Die Deutschen erzählen nicht vom Zurückkommen«

Gespenster der Nachkriegszeit: Christian Petzold über Phoenix und warum gute Filme nur die Sehnsucht zeigen, aber nicht das Glück

Sie haben mit Ihren Filmen Vor- und Nachwende, die RAF sowie die BRD ausgeleuchtet. In ihrem neuen Film »Phoenix« springen Sie in die Nachkriegszeit — ist das konsequent? Ich habe mich ein bisschen davor gefürchtet, weil Zeiten, die ich nicht selber kenne, schwer für mich sind. Außerdem gibt es quasi keine Vorbilder. Die Deutschen haben sich nach dem Krieg sofort in Märklinwelten und Heimatfilme gestürzt. Ein Nachkriegskino wie der Neorealismus in Italien, als Versuch sein Land neu zu vermessen, hat sich hier nie entwickelt. Dabei ist die Rückkehr eines der größten Themen von Kino und Literatur. Davon handeln die »Odyssee« oder »The Deer Hunter«. Dass die Deutschen nicht vom Zurückkommen erzählen, ist so etwas wie eine Urwunde des hiesigen Kinos. Fassbinder ist einer der wenigen gewesen, der das versucht hat.

 

»Phoenix« erzählt von einer Frau, die aus dem KZ zurückkommt. Was war die Vorlage für den Film?

 

Ich bin schon während meines Zivildienstes auf einen Aufsatz von Harun Farocki gestoßen. Es ging es um »Vertigo«, vertauschte Frauen und eben den Roman »Der Asche entstiegen« von Hubert Monteilher, der »Phoenix« zu­­grunde liegt. Ein Stoff, der mich unmittelbar fasziniert hat. Als ich »Barbara« drehte, kam ich darauf zurück. Der Roman erzählt, dass ein Paar alles verloren hat, was das Paar in »Barbara« gerade entdeckt. Wenn »Barbara« der Aufbruch ist, ist »Phoenix« das Zurückkommen. Die Nelly in »Phoenix« hat eine Erinnerungs-Kapsel an die Liebe in sich behalten, mit der sie das KZ überlebt hat. Und sie möchte wieder in der Zeit zurückspringen und dort anschließen. Denn sie will nicht einsehen, dass die Nazis etwas unwiederbringlich auslöschen können. Und diese Weigerung etwas einzusehen, die interessiert mich und gefällt mir an Menschen.

Angesichts ihrer bisherigen Frauenfiguren wirkt Nelly in ihrer Fixierung auf einen Mann zunächst irritierend.

 

Da findet etwas statt, dass nicht unähnlich zur Regie ist: Ein Mann modelliert eine Frau. Und die Frau hofft, dass wenn sie sich dem überlässt, er sich am Schluss wie Pygmalion in sie verliebt. Aber Nelly muss feststellen: Er baut sich nicht die Frau, die er begehrt, er baut sich die Frau, die er verkaufen kann. Als sie das begreift, wehrt sie sich.

 

Sie haben einmal gesagt, dass sie Filme nur denken können, wenn sie die Orte an denen sie spielen sollen, wirklich kennen.Das war hier nicht möglich.

 

Wir haben unter anderem an dem Ort in Ostdeutschland gedreht, wo »Barbara« entstanden ist. Die DDR hatte nicht das Geld, alles abzureißen und neu zu bauen, deshalb haben wir da auch die Zeichen des Faschismus noch entdecken können. Aber es stimmt: Sonst habe ich die Orte erfahren und hier musste ich sie bauen. Das war schon schwer.

 

Hat dieser Moment der Rekonstruktion die Stoffentwicklung verändert?

 

Ja, durchaus. Ich wollte keine digitalen Landschaften aus dem Rechner. Eine ganze Straße in Trümmer zu legen, einen ganzen Bahnhof zurückzubauen, das dauert Tagen, Wochen, Monate und war für mich dadurch auch eine Zeitreise zu den Orten. Und weil ich die Drehorte dann später mit den Schauspielern erfahren habe, hatte ich immer das Gefühl, dass das keine Theaterräume sind, sondern lebendige Orte. Das Theaterhafte ist ja, was ich an vielen historischen Filmen so furchtbar finde.

 

Rekonstruktion ist ja in gewisser Hinsicht das Hauptthema des Films. Nelly hat ein Bild vom Paradies, das sie verlassen hat — und das wir nicht teilen können: Denn wenn man versucht, das Glück zu zeigen, landet man bei der Margarine-Werbung. In den tollen Filmen ist das Kino nicht der Ort zur Ablichtung des Glücks, sondern der Ort, wo Menschen mit ihrer Sehnsucht nach Glück gezeigt werden. Nelly hat eine konkrete Erinnerung an das Glück. Dahin möchte sie zurück. Diesen wahnsinnigen und unrealistischen Wunsch, den finde ich großartig, wenn ich jemand folgen kann, der etwas macht, was ich persönlich nie wagen würde.

 

Menschen, die »noch nicht zu Ende gestorben sind«, wie Sie es formuliert haben, stehen im Zentrum mehrerer Ihrer Filme. Erweitern Sie mit »Phoenix« Ihre Gespenster-Trilogie zur Tetralogie?

 

Trilogie klingt immer so erwachsen. Und Tetralogie klingt, als würde man in der Getränkeindustrie arbeiten (lacht). »Phoenix« macht schon mit dem Gespensterthema weiter. In gewisser Hinsicht sind die wahren Gespenster in meinen Filmen Julia Hummer in »Die innere Sicherheit«, Yella im gleichnamigen Film und jetzt die Nelly in Phoenix. Das ist die eigentliche Trilogie. Mein Film, der »Gespenster« heißt, ist eigentlich der lebendigste, weil es der Gegenwärtigste ist.