v.l.n.r.: Memyselfandi, Retrogott, Hulk Hodn, Twit One | Foto: Manfred Wegener

»Rap ist ein langer Flur mit sehr vielen Türen«

Was macht HipHop in Köln aus? Ein Gespräch mit Twit One, Retrogott, MeMyselfandi und Hulk Hodn

Ihr kommt alle aus Köln, ihr macht alle HipHop — einige als Produzenten, andere als Rapper. Inwiefern fühlt Ihr euch einer Kölner Szene zugehörig?

 

Retrogott: Jede Gruppe, die einen halbwegs harten Kern hat, macht ihr Ding und manchmal gibt es Berührungspunkte mit anderen. Das kann natürlich nicht repräsentativ für eine ganze Stadt sein, aber vielleicht assoziieren das andere Leute mit Köln. Es geht uns aber nicht darum, führend in einer Szene zu sein, sondern eher, innerhalb dieser Szene möglichst viel Offenheit zu schaffen.

 

Memyselfandi: Das hat er schön gesagt.

 

Retrogott: Wenn ich überlege, was das, was wir machen, auszeichnet, dann ist das die Liebe zu der Musik um Rap herum: Soul, Funk, Jazz, Reggae, Rock‘n‘Roll ... Für mich hat das in Köln angefangen.

 

Wen würdet ihr denn noch dazu zählen?

 

Twit One: Ich mache Musik mit Lazy Jones, Hubert Daviz macht Platten mit Hodn und Retrogott ... Tobrock hat mit allen was zu tun, Hazenberg, Babak und der Dedicated Laden, natürlich die anderen vom ENTBS Label und Melting Pot Music?… Das Gute an Köln ist, dass man sich die ganze Zeit über den Weg läuft, auch wenn man nicht die ganze Zeit miteinander abhängt. Als ich nach Köln kam, habe ich im Groove Attack meine Tapes gekauft und bin auf die »Disco Diamant«-Parties von Scope & Defcon gegangen. Über unsere Radiosendung »Radio Love Love« hatten wir fast alle aus Köln zum Aufnehmen hier im Haus.

 

Retrogott: Wir reden über eine Szene, aber eigentlich reden wir über meinen Freundeskreis. Dass diesen andere als Szene wahrnehmen, fühlt sich etwas abstrakt an.

 

An welchen Orten findet diese Szene denn statt?

 

Hulk Hodn: Das ändert sich ständig. Zunächst war viel am Brüsseler Platz, dann war der Brüsseler Platz plötzlich völlig überhyped, und es ging zum Stecken. Seit das Stecken dicht ist, sind die meisten Veranstaltungen im Roxy. Im Metronom trifft man auch viele, aber da wirst du nicht mehr ganz so freundlich bedient wie früher (lacht).

 

Memyselfandi: Es gab immer wieder Leute die innerhalb dieser Szene gewachsen sind und eigene Energie, Kosten und Blut in Veranstaltungen stecken, auch wenn sie mit einem Minus rausgehen. Im Club Bahnhof Ehrenfeld kann man sich zum Beispiel gut größere Konzerte ansehen.

 

Twit One: Flohmärkte sind auch wichtig. Das ist speziell an Köln — es gibt noch viele Plattensammler und Platten­läden. Hier werden sogar noch Plattenläden eröffnet, »Early Bird« auf der Lindenstraße und zuletzt »Drake Records« in Kalk, der wahrscheinlich einzige rechts­rheinische Plattenladen.

 

2007 kam das Huss & Hodn Album »Jetzt Schämst du Dich«, 2009 die erste »Hi-Hat Club« von Hulk Hodn & Twit One über Melting Pot Music. Zwischen diesen Jahren scheint sich so etwas wie ein fester Kern gebildet zu haben, der immer weiter gewachsen ist.

 

Hulk Hodn: Das mag so rüberkommen, weil in kurzer Folge Platten veröffentlicht wurden, die eine gewisse mediale Aufmerksamkeit bekommen haben.

 

Twit One: Alles wird verzögert wahrgenommen — man macht Tracks, bringt sie zwei Jahre später auf Vinyl raus und ab da brauchen die Leute noch mal ein Jahr, bis sie dich einordnen. Dadurch sind solche Zeitangaben immer etwas verzerrt.

 

Die stilprägende Rapmusik aus Köln wird oft als eher traditionell rezipiert.

 

MeMyselfandi: Als DJ interessiert mich einfach Musik allgemein, ob das jetzt Little Dragon ist, Toro Y Moi oder Action Bronson. Ich habe aber auch immer schon Südstaaten-Rap gehört. Ich habe weder bei neuen noch bei alten Sachen Skrupel, wir ergänzen uns da gut und tauschen uns aus. Auch wenn ich mir schon manchmal Witze über meinen Geschmack anhören muss (lacht).

 

Retrogott: Ob wir eine Folge von »Radio Love Love« aufnehmen, auf Parties auflegen, Konzerte  geben oder einen Beat machen: Wir sind in erster Linie getrieben von Musik. Diese Grundoffenheit wird als Rückwärtsgewandheit verstanden, weil sie sich viel auf Musik bezieht, die schon passiert ist, anstatt auf aktuelle. Wir nehmen das als Zeitlosigkeit der Musik wahr — der Fortschrittsgedanke und Innovationsfetischismus treibt uns nicht an.

 

Twit One: Eben, Rap ist ein langer Flur mit sehr vielen Türen und hinter jeder ist ein eigenes Genre, das es zu entdecken gilt.

 

Hulk Hodn: Die Leute scheinen aber irgendwie offener zu werden. Ich habe letztens einen House-Song von mir hochgeladen und hätte mit viel mehr Kritik gerechnet.

 

Retrogott: Das kann man doch so festhalten: Wenn wir irgendwas zu irgendwas beigetragen haben (lacht), dann hoffentlich zu mehr Toleranz.

 

Twit One: Allein der Name der Radiosendung — »Radio Love Love« — ­softer geht’s ja kaum?… (lacht). Wir haben hier Spezialisten aus allen Genres zu Gast, durch die wir selbst neue Musik entdecken.

 

Gab es eigentlich Überlegungen, »Radio Love Love« zu professionalisieren?

 

Retrogott: Wir wollen schon alle Kohle sehen, wenn Kohle im Spiel ist. Aber wir verfolgen eher einen Grassroots-Ansatz: Manche Entscheidungen, die unökonomisch wirken, sind auf lange Sicht besser. Klar kann ich in dem Moment, in dem ich angesagt bin, zehn Releases raushauen und versuchen, ins Fernsehen zu kommen. Aber wenn ich drauf scheiße, habe ich länger was von meinem harten Kern an Fans, der dann nicht enttäuscht wurde. Das Pflänzchen wächst langsam und gesund.

 

Memyselfandi: Klar freuen wir uns, wenn es für eine Episode viele Clicks gab. Und wenn Leute das Shirt gut finden, an dem wir auch nicht viel verdienen, oder uns auf ihre Party buchen. Natürlich ist es super, wenn die »Episode, die niemals stattfand« über 7000 mal angeschaltet wurde — das ist einfach nur ein leerer Stream (lacht).

 

Twit One: Die steht auch immer wieder oben, weil die keinen Datenplatz wegnimmt. Die hat auch die besten Kommentare: »John-Cage-Sample hier«.

 

Retrogott: In dem Sinne sind wir Amateure. Amateur kommt von »amare«, und wir lieben tatsächlich, was wir tun.

 

Interview: Julian Brimmers

 


Memyselfandi: DJ und Pro­ducer. Ursprünglich aus Bad Kreuznach ist Memyselfandi seit Jahren einer der umtriebig­sten und versiertesten DJs der Domstadt. Bekannt für exaltier­tes Verhalten an den Plattenspielern. In seinen Sets ist neben klassischem Material aus­reichend Platz für neue Stile.

 

Retrogott: Stilprägender Rapper, ­kritischer Geist, außerdem Pro­ducer und DJ. Hat als MC von Retrogott & Hulk Hodn maß­geblich zur Ent­krampfung von Rap in Deutschland bei­getragen. Nahm u.a. mit Kool Keith, Count Bass D und Kutmasta Kurt auf. Stammgast bei Radio Love Love.

 

Hulk Hodn: Auch bekannt als Hodini, vormals Des Griffin. Ende der 90er als DJ mit der Kölner Band 4Mille unterwegs, heute eine Hälfte von Retrogott & Hulk Hodn. Hat zusammen mit Twit One als Testiculo Y Uno das erste Album der »Hi-Hat Club«-Serie auf MPM produziert. Gründungsmitglied von Radio Love Love mit Memyselfandi und Twit One.

 

Twit One: DJ, Producer, Veran­stalter und Labelchef (»A.U.D.D.A.«). Sein »Treehouse« stellte für Jahre eine Schalt­zentrale der ­Kölner Szene dar. Mehr als nur das Hauptquartier von »Radio Love Love«, haben hier US-Underground ­Größen wie Planet Asia, Count Bass D oder Dudley Perkins ­aufgenommen. Veröffentlicht House und Disco-Platten als Tito Wun auf dem AVA Label des ­Kölners Damiano von Erckert.

 

Radio Love Love: Webradio Show initiiert von Twit One, Hulk Hodn, Memyselfandi und wechselnden Gästen. Inspiriert vom Razzy-Song »I Hate Hate«. Bislang 176 Episoden inklusive Spezialfolgen wie der »Folge, die nie stattfand« (leerer Stream)