Die zweite Inkarnation

Der Londoner Produzent SBTRKT gehört derzeit zu den

spannendsten Vertretern des omnipräsenten Elektro-Soul-Trends

Schaut man nur flüchtig hin, könnte man meinen, dass Aaron Jerome, der Londoner Produzent hinter dem zeitgemäß auf Vokale verzichtenden Projektnamen SBTRKT, einer dieser jungen elek­tronischen Musiker ist, die es mit einigen Veröffentlichungen sofort zu großer Bekanntheit gebracht haben. Der Anfangdreißiger, der in den letzten fünf Jahren mit Maxis auf Labels wie Brainmath, Ramp Recordings, Numbers und Monkeytown sowie mit seinem Debütalbum »SBTRKT« auf Young Turks den Durchbruch geschafft hat, lebt jedoch bereits sein zweites Musikerleben. Bevor er mit SBTRKT 2009 plötzlich den Zeitgeist atmete, veröffentlichte er einige Jahre unter seinem echten Namen Musik, von der er heute nichts mehr wissen will. Und so schuf Jerome das farbenprächtige, neonleuchtende Erscheinungsbild seiner zweiten Künstlerinkarnation SBTRKT.

 

Wir sitzen im Londoner Fields Park, gleich um die Ecke vom Büro seiner Plattenfirma Young Turks gelegen, um über den nun erscheinenden Nachfolger »Wonder Where We Land« zu sprechen. Young Turks, auf dem neben ihm noch Künstler wie John Talabot, The xx und FKA Twigs veröffentlichen, fühle sich für ihn wie eine Familie an, betont Jerome. »Wir haben ähnliche künstlerische Ambitionen, uns allen geht es nicht nur um Erfolg, sondern um ästhetische Kategorien.« Insofern nur stringent, dass mit Sampha, Koreless und Caroline Polachek (von der Band Chairlift) gleich drei Young-Turks-KünstlerInnen auf »Wonder Where We Land« involviert sind.

 

Bei unserem Gespräch berichtet Jerome zunächst über seine Sozialisation. Aufgewachsen ist er auf der einsam gelegenen Farm seiner Familie außerhalb von Cambridge. Ein herumstehendes Klavier und das am elften Geburtstag dazugekommene Schlagzeug wurden zu seiner Experimentierbühne. Der Vater führte ihn in die Welt von Pink Floyd, Police, Beatles und Led Zeppelin ein, der Bruder in frühen HipHop und ein in London lebender Cousin schließlich in New York- und Chicago- House, jene Musik, die in ihm die Begierde wecken sollte, selbst so etwas zu erschaffen.

 

Dem von außen an ihn herangetragene Diskurs, ob seine Musik nun UK-Garage, Techno, Dubstep oder Post-Dubstep sei, kann Jerome genauso wenig abgewinnen, wie er sich mit anderen Vertretern des zeitgemäßen Elektro-Soul in eine Schublade werfen lassen will. »Für mich bedeutet elektronische Musik, dass man nicht wie eine Rockband durch die Instrumentierung an Zwänge gebunden ist. Natürlich fordern auch in der Elektronik viele einen Trademark-Sound, da dies großen Erfolg verspricht, aber als Künstler ist es eine schlimme Vorstellung, dass alle sofort wissen, wie das nächste Stück klingen wird.« Den Freiraum, den Dubstep ihm bot, nahm Jerome insofern gerne an. Alles war plötzlich möglich, von syn­kopierten Beats über heftige Geschwindigkeitswechsel, Breaks zwischen harten und soften Klängen bis hin zum manischen Zerstückeln der Stimmen.

 

Mit »Wonder Where We Land« führt er nun diesen kontrastreichen Weg fort. Während die erste Singleauskopplung »New Dorp New York«, entstanden mit Vampire-Weekend-Sänger Ezra Koenig, wunderbarer Weirdo-Afro-Pop ist, erinnert ein Stück wie »Lantern« in seiner Rave-Tauglichkeit an nebelige Katakombenpartys, schmiegt sich das mit Raury produzierte »Higher« geschmeidig an den Zeitgeist an und erforscht ein Song wie »Look Away« den Möglichkeitsraum von Pop als Soundcollage. Darauf angesprochen, kommentiert Jerome trocken: »Ich akzeptiere es, dass es die Leute verwirren kann. Aber ich möchte mit SBTRKT alles an einem Ort stattfinden lassen. Es kann nicht mein Ziel sein, einem Trend oder Fan-Erwartungen zu folgen. Für mich ergeben all diese Elemente zusammen Sinn, sei es das Club-Instrumental oder der Vocal-Track.«

 

Entstanden ist »Wonder Where We Land« mit so namhaften MitstreiterInnen wie Sampha, Jessie Ware, Raury, Koreless und Caroline Polachek. Mit ihnen ließ sich Jerome, der bis dato nur zuhause in seinem Bedroom-Studio produziert hatte, auf völlig neue Rahmenbedingungen ein: Die meisten Songs wurden auf der kleinen Insel Osea vor der britischen Küste im Jam entwickelt. Jerome hat das Abenteuer gesucht und sich explizit dem potenziellen Scheitern ausgesetzt. »Beim Debüt wusste ich, wo ich ankommen wollte«, führt er aus. »Es ging mir darum, die Textur auf das Minimum runter zu köcheln, um das gewünschte Gefühl zu transportieren. Diesmal ging ich taktisch anders ran. All die klassischen Alben von Musikern wie Pink Floyd, Radiohead, Kanye West, Police und den Beatles, auf die ich mich mit dem Album beziehe, wurden in Bandatmosphäre in Studiosessions kreiert. Ich definiere SBTRKT stark über einen Kollaborations- und Pluralismusgedanken. Es sollte und wird nie das Projekt eines DJs sein, der lediglich ein paar bekannte Stimmen über seine Stücke legt«. Um das zu ermöglichen, sei gerade der Aufenthalt auf der Insel sehr bedeutsam gewesen. »Auf Osea stand die Musik so sehr im Fokus, wie du es in einer Stadt nie hinbekommst. Wenn man in einem Studio in London aufnimmt, dann gibt es für alle an jedem Tag immer eine Zeit vor und nach der Aufnahme. Das war auf Osea anders: Die Umwelt wurde Teil der Produktion«. Und so machten Jerome und seine Mitstreiter gemeinsame Fahrradtouren, hörten Krautrock-Alben, schauten Science-Fiction-Filme und erschufen dabei die Songs für »Wonder Where We Land«. Es gibt bestimmt unangenehmere Arbeitsbedingungen.