Schlüssel in der Hose, Groll im Herzen

10.000 Dinge besitzt ein durchschnittlicher Mensch in einem Industriestaat. Ich habe jetzt keine Lust, nachzuzählen. Ich weiß auch gar nicht genau, was alles ein »Ding« ist. Sind zweiundvierzig Panini-Bildchen der Reihe »Fußball-WM Argentinien 1978« mit Gummi drum ein Ding? Oder sind das zweiundvierzig Dinge plus ein Gummi-Ding? 

 

So oder so sind 10.000 Dinge sehr viel. Was macht man damit? Meistens nichts. Wer 10.000 Dinge besitzt, hätte pro Tag 8,64 Sekunden, um jedes Ding einer angelegentlichen Betrachtung, ordnungsgemäßer Benutzung sowie Pflege, Wartung, gegebenenfalls Reparatur zu unterziehen. 8,64 Sekunden! Aber man muss ja schließlich auch schlafen, Leergut zurückbringen, sich am Telefon mit Gesine Stabroth streiten und zwei- bis dreimal täglich dieses eklige Pesto, das neuerdings auf jeder Fertigpizza klebt, runterkratzen. Ein schlimmer Verdacht steht im Raum: Wir brauchen das meiste gar nicht. 

 

Kein Mensch, der im Besitz von 10.000 Dingen ist, hat doch Lust, sich rund um die Uhr für jeweils knapp neun Sekunden mit einem kosmetischen Bimsstein, einem verbogenen Design-Olivenpicker, der rostigen Blumenampel im Keller, zwei hinter den Kühlschrank gerutschten Ansichtskarten von Oma Porz und 9.995 anderen Dingen zu befassen. Wer wollte widersprechen: »Du, ich brauch das alles wohl! Jetzt kraxel gefälligst zurück über die Altpapierstapel zur Haustür und zisch ab.« 

 

10.000 Dinge liegen bei jedem von uns irgendwo rum. Jede verkaufte Bohrmaschine in den USA soll durchschnittlich nur 13 Sekunden zum Bohren benutzt werden, den Rest der Zeit verbringt sie mit Herumliegen, ehe sie im Müll landet. In Deutschland ist liegt der Durchschnitt etwas höher, wegen Herrn Schröder von nebenan und seinen samstäglichen Do-it-yourself-Exzessen. Natürlich gibt es auch ein paar nützliche Dinge unter dem ganzen Wust: In meinem Keller befindet sich womöglich ein 110-teiliger Gewindeschneidsatz, ein Wagenheber sowie ein originalverpackter Tischstaubsauger. Manchmal braucht man einen Tischstaubsauger. Wenn es dann so weit ist, kommt man sich vor, als suchte man den Heiligen Gral: Man weiß gar nicht, ob’s das Gesuchte gibt und nachher ist alles in Schutt und Asche gelegt.

 

10.000 Dinge kann sich keiner merken. Man muss Prioritäten setzen. Falsch wäre es, Portemonnaie, Schlüsselbund, Telefon oder den Herzschrittmacher in einer Umzugskiste im Keller aufzubewahren. Und doch weiß ich nie, wo ich das Zeug gerade eben hingetan habe. Das Schlimmste ist, Gesine Stabroth im Tonfall eines Psychiaters säuseln zu hören: »Überleg doch mal, wo du ihn zuletzt gesehen hast...«

 

Gesine Stabroth sagt auch, man solle die Dinge einfach immer an den selben Platz tun. Aber wenn ich ins Kino gehe, nehme ich doch nicht auch noch das Schlüsselbrett mit, um meinen Schlüssel dranzuhängen! Ich stecke mir alles in die Hosentaschen! Ja, es ist eine Hose, aber es sind auch Taschen. Zwei vorne, zwei hinten. Für Telefon, Portemonnaie, Schlüssel und eine frei für Reserve. Männer wie ich neigen daher zur optischen Zerbeultheit im Hüftbereich. Ich bin nicht eitel. Und merke: Man kann seine Umhängetasche in der Kneipe vergessen, aber nicht die Hosentaschen. Jedenfalls nicht, wenn man sich noch einigermaßen im Griff hat. Aber weil es Männer wie mich ständig im Hüftbereich piekst, tragen sie noch etwas anderes mit sich: nämlich einen Groll in ihrem Herzen. Vielleicht ist das nicht gut. Vielleicht sind Hosentaschen nicht gut. Ich habe gelesen, es gäbe Gesellschaften, deren Angehörige im Durchschnitt nur 150 Dinge besäßen. Sie seien zudem glücklicher. Wo wohnen die? Ich mach mit, muss aber erst mal ausmisten. Brauchen Sie vielleicht einen -Nasenhaarschneider oder einen Design-Olivenpicker?