Sirupdicke Paranoia

Whistleblower-Doku: Citizenfour von Laura Poitras

Juni 2013 — ein Monat, der zwar nicht die Welt veränderte, aber unseren Blick darauf. Glenn Greenwald berichtet im Guardian erstmals über die Schnüffeleien des amerikanischen Geheimdiensts NSA. Täglich treten neue Details zu Tage. Die Weltöffentlichkeit steht Kopf, die USA üben sich in Schadensbegrenzung. Hysterie und Beschwichtigungsrhetorik, Angriff und Gegenangriff. Es ist  die Stunde Null der protokollierten Welt, in der wir leben. Detail um Detail wird das Ausmaß der Totalüberwachung deutlich, eine Ahnung wird Gewissheit. Im Stillen und aus einer Ideologie reiner Machbarkeit heraus hat sich mit der NSA die ultimative Waffe gegen jede Form von Nonkonformismus gebildet: ein Staat im Staat, ein einzigartiger aggressiver Abwehrmechanismus, der sich nicht nur gegen die eigenen Bürger, sondern die ganze Welt richtet.

 


Wenig später erhält die Affäre ihr Gesicht: Edward Snowden, ein ehemaliger NSA-Zuarbeiter, ruhig und souverän beim Videointerview in der Diaspora eines anonymen Hotelzimmers. Das Material stammt von der Filmemacherin Laura Poitras, neben Greenwald die engste Vertraute des Whistleblowers, die mit »Citizenfour« — Snowdens ursprünglicher Deckname — die ersten Tage der NSA-Affäre erzählt.

 


Süffiges Polit-Boulevardtheater à la Michael Moore ist das nicht geworden. Stattdessen arbeitet Poitras kühl, mit fast meditativer Präzision. Wer die großen Snowden-Reportagen der US-Magazine kennt, erfährt zwar kaum Neues. Doch besticht »Citizenfour« nicht nur als historisches Dokument, sondern weil er den Beginn des heutigen Szenarios konkret werden lässt: ein kleines Hotelzimmer, rudimentäres Equipment auf dem Bett, vorsichtige Annäherungen zwischen Snowden und Greenwald und nicht zuletzt die Atmosphäre sirupdick im Raum stehender Paranoia. Überraschende Feueralarm-Proben lassen Snowden jegliche Fassung verlieren, er wirft sich zur Eingabe seiner Passwörter eine Decke über den Kopf oder tadelt Greenwald für dessen lässliche Passwort-Politik.

 


Auch im Rückblick entwickeln die Szenen einen beträchtlichen Spannungs-Sog. Und am Ende bestätigt sich — wenn man dem Film Glauben schenken kann — ein seit geraumer Zeit umhergehendes Gerücht: Es gibt noch mindestens einen weiteren Whistle­blower, dessen Informationen selbst Snowden große Augen kriegen lassen. Noch hält sich Poitras mit Details bedeckt. Sicher ist nur: Die NSA-Affäre wird noch lange andauern.