Bonus oder Solidarität

Melodrama: Zwei Tage, eine Nacht von Jean-Pierre und Luc Dardenne

Zwei Stimmen hat sie schon, sieben braucht sie noch: Das ist die gradlinige Prämisse des neuen Films der Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne (»Der Junge mit den Fahrrad«). Sandra (eine ausgezehrte Marion Cotillard) droht, ihre Arbeit in einer Solarzellenfabrik zu verlieren, nachdem ihre Kollegen sich mehrheitlich für einen Jahresbonus und damit gegen ihre Weiterbeschäftigung entschieden haben. Zu Beginn des Films erfährt Sandra, dass die erpresserische Abstimmung wiederholt wird, die die Arbeiter gegeneinander kämpfen lässt, anstatt gemeinsam gegen das Management. Zwei Tage hat die vor den Trümmern ihrer Familienexistenz stehende junge Frau Zeit, die Belegschaft auf ihre Seite zu bringen.

 

Angetrieben von ihrem Mann und verfolgt von einer unaufdringlichen Handkamera eilt sie ein Wochenende von Tür zu Tür und versucht, Stimmen einzutreiben. Bis in die Dialoge ist der Film seriell organisiert: Ein ums andere Mal wiederholt Marion ihre Bitte. Die Meisterschaft der Dardennes zeigt sich gerade darin, wie es ihnen gelingt, trotz dieser Wiederholungen ein umfassendes emotionales und soziales Panorama zu eröffnen. Die Reaktionen der Gesprächspartner sind ganz unterschiedlich: Einige lassen sich umstimmen, andere nicht, manche haben Mitleid, manche werden fast gewalttätig. In einer der intensivsten Szenen des Films bricht ein Kollege vor Marion zusammen und entschuldigt sich schluchzend für die fehlende Solidarität in der ersten Abstimmung.

 

Solche Momente mag man manipulativ finden, denn »Zwei Tage, eine Nacht« ist ein mit allen melodramatischen Wassern gewaschener Film, der seiner Protagonistin zwischendurch auch noch einige andere Probleme zumutet, um sie dann an anderer Stelle mit Petula-Clark-Songs zu trösten. Übel nehmen kann man dem Film diese Technik aber nicht, weil er in seiner didaktischen Absicht völlig transparent bleibt. Wenn aus der Gesamtheit der Werktätigen isolierte Individuen werden, der Alltag sich in ein tränenseeliges Drama und in letzter Konsequenz sich die Zivilisation in Barbarei verwandelt, dann liegt das nicht an fehlender Subtilität der filmischen Inszenierung, sondern am Kapitalismus. Oder ganz konkret daran, darauf haben die Regisseure in einem Interview verwiesen, dass die belgische Solarzellenfabrik, in der Sandra angestellt ist, keinen Betriebsrat hat.