Jemand, der dich versteht

Der in Köln lebende Deutsch-Afrikaner Abi Odukoya alias Don Abi legt sein erstes Album vor. Peter Scharf hat ihn getroffen.

»Fela Kuti, Marvin Gaye, Bob Marley ....« So Abi Odukoya alias Don Abi auf die Frage, was er als Kind und Jugendlicher in Lagos gehört hat. Bevor man neidisch werden kann auf die geschmackssichere Musikerziehung, die ihm durch die Plattensammlung seines Vaters zuteil geworden ist, ergänzt der 31-jährige Deutsch-Afrikaner: »Na ja, und jede Menge James Last.« Ausgerechnet! James Last, der wie kein anderer (schwarzen) Jazz in (weiße) Easy-Listening-Grütze verwandelt hat, um die Welt mit seinem blutleeren Sound zu kolonialisieren. In der urbanen nigerianischen Mittel- und Oberschicht der 70er und 80er Jahre sind seine Platten – wie nahezu sonst überall auf der Welt – schickes Importgut.
Vielleicht hat James Last Don Abi ein wenig auf den Kulturschock vorbereitet, den er 1986 als 14-Jähriger erleiden sollte: durch die Übersiedlung von der musikdurchfluteten afrikanischen Metropole Lagos ins vergleichsweise dörfliche Leverkusen. Von der 10-Millionen-Stadt am Atlantik ins 160.000-Seelen-Kaff am Rhein. Kein leichter Gang für einen schwarzen Teenager, der von seiner deutschen Mutter und seinem nigerianischen Vater zwar zweisprachig erzogen, jedoch nicht auf die ungeplante Übersiedlung vorbereitet wurde. Zweisprachig – das bedeutet für Don Abi und seine drei Geschwister: Englisch und Yorubá.
Vielleicht wäre es Don Abi schwerer gefallen, in kürzester Zeit perfekt Deutsch zu lernen, sein Abitur zu machen und offene oder verdeckte rassistische Anfeindung auszuhalten, hätte er nicht von Anfang an eine dritte Sprache für sich nutzbar gemacht: die Musik. Es ist ein Gemeinplatz, sie aufgrund ihrer universellen Verständlichkeit als Global Player zu rühmen. Doch Don Abi hat genau dieser Umstand geholfen: Egal ob in Lagos oder Leverkusen – an Musik, sprich an Tonträger, kommt man immer irgendwie ran.
HipHop und Reggae werden Don Abis Sprachrohr. Dabei interessiert ihn Anfang der 90er weniger der Partycharakter der Musik, auch nicht das blödelnde Sprachspiel oder die Möglichkeit, sich jugendkulturell zuzuordnen. Musik machen bedeutet für ihn von Anfang an, sich politisch zu artikulieren. »Schließlich gab es zu der Zeit auch in Leverkusen eine ziemlich große rechte Szene.« So werden Don Abis erste Schritte als Musiker mit der High Voltage Band begleitet von Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit. HipHop und Reggae sind seine Chance, auf die Angriffe zu reagieren. Mit einer Musik, die ihre Kraft aus ihrem Groove und ihrer Geschichte schöpft, aber auch mit Texten, die die Konfrontation suchen. »Ich bin es aus Nigeria einfach gewohnt, dass die Texte wichtig sind. Man hört da wirklich hin, und man spricht über die Texte, lässt sich von ihnen inspirieren.«
In den 90er Jahren probiert sich der inzwischen in Köln ansässige Don Abi in den unterschiedlichsten Konstellationen aus. Als MC für diverse Soundsystem, als Sänger und Rapper. Seine Stimme verleiht u.a. den Platten von Maceo Parker, Patrice, Burnt Friedman und den Di Iries den nötigen Glanz. Und er gründet gemeinsam mit seinem Bruder Adé BANTU – eine Band, die Dancehall-Reggae, HipHop und westafrikanischen Funk mit Texten in Englisch und Yorubá fusioniert.
Auch wenn Don Abi im letzten Jahrzehnt auf mehr als einem Dutzend Platten vertreten ist und mit BANTU in Nigeria sogar zwei Top 10-Hits landen kann, ist er lange Zeit nicht mehr und nicht weniger als eine Szenegröße.
Das ändert sich schlagartig vor zwei Jahren durch Don Abis Teilnahme an dem Projekt Brothers Keepers – einem Zusammenschluss von zwei Dutzend afro-deutscher HipHop-, Soul- und Reggaemusiker, die sich in die Debatte um rassistische Gewalt einmischen. Und das mit einem nie für möglich gehaltenen Erfolg. Ihr Song »Adriano – Die letzte Warnung« dauerrotiert im Sommer 2001 auf den Musik-TV-Kanälen und hält sich wochenlang in den Top 5 der deutschen Charts. Ausgangspunkt des Songs ist der Skinhead-Mord an dem Mosambikaner Alberto Adriano in Dessau. Doch der Song ist mehr als ein Statement gegen Rassismus und alles andere als die übliche Bitte um Toleranz. Er formuliert eine klare Kampfansage: »Dies ist so was wie eine letzte Warnung / denn unser Rückschlag ist längst in Planung / Wir fall’n dort ein, wo ihr auffallt / Gebieten eurer braunen Scheiße endlich Aufhalt.« Und er prognostiziert den überfälligen Widerstand: »Was wir reichen, sind geballte Fäuste und keine Hände.«
Der Erfolg des Songs wäre ohne das fulminante Schwarz-Weiß-Video kaum denkbar gewesen. Der Berliner Regisseur Dani Levy inszeniert das Treffen afro-deutscher Musikgrößen als Aufmarsch gegen Neonazis. Torch, Xavier Naidoo, Denyo, Afrob und die anderen der acht am ersten Teil des Videos beteiligten Protagonisten sammeln sich und ziehen in den Kampf. Die Kamera begleitet sie auf dem Gang durch die finstere Kulisse eines Berliner Parkhauses. Erst als Don Abi als letzter seinen Part singt, hält die Kamera inne und umkreist den Sänger, dessen Blick an den unzähligen Fenstern einer Plattenbau-Siedlung hochwandert. Fragend, anklagend,
herausfordernd. Eine pathetische Einstellung, zumal für ein Musikvideo, die Don Abi einen herausgehobenen Platz in dem Song zuweist und beim Betracher Fragen aufwirft. Wer ist der Kerl, dessen Stimme sich da so soulful erhebt? Wo kommt der her? Und hat der schon eine Platte raus?
Für Don Abi ist das Mitwirken an dem von seinem Bruder Adé inszenierten Projekt ein Glücksfall. Nicht finanziell, denn die Einnahmen gehen an die Familie von Alberto Adriano und andere Opfer rassistischer Gewalt. Aber Don Abis imposanter Auftritt hat das Interesse der Plattenindustrie geweckt, so dass jetzt, zwei Jahre später, mit »Act Of Love« sein erstes Soloalbum erschienen ist. Genauer gesagt ein Minialbum mit sieben Stücken plus Vorspiel. Eine überfällige Visitenkarte und ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen soll. Schließlich arbeitet er bereits an einem Fullplay-Album, und eine Platte mit BANTU ist ebenfalls eingespielt.
»Act Of Love« passt zum Jahrhundertwetter, das uns so faul macht und Tagträume schickt, die mit dem richtigen Sound untermalt werden wollen. Am liebsten mit Songs, die sanft balancieren zwischen Soul und Reggae und etwas von Liebe, Spiritualität und afrikanischem Selbstbewusstsein erzählen. Mit einer Stimme, deren raues Timbre eine sanfte Kraft entfaltet. Sie spricht zu dir: als bester Kumpel, väterlicher Freund oder großer Bruder. Auf jeden Fall als jemand, der dich kennt und versteht. »It’s About You« heißt einer der schönsten Songs der Platte. Der Rhythmus ist federnd, fast dubbig, das Arrangement mit Akustikgitarre und Klavier sehr transparent produziert. Wie die ganz Platte. Refrain und Strophe gleiten nicht nur bei diesem Song elegant ineinander, was gleichermaßen an den sanften Flow des Roots-Reggae-Veteranen Dennis Brown oder an die Soullegende Al Green erinnert. Zwei von Don Abis ewigen Helden.
Mit »Act Of Love« schließt Don Abi nahtlos an einige Produktionen neueren Datums aus Deutschland an, die sich mit einem so nie da gewesenem Selbstbewusstsein und Verständnis auf (Songwriter-) Musik im Umfeld von R&B, Soul und Reggae einlassen; wobei die Frage der Sprache hier keine Rolle spielt. Paradigmatisch ist hierfür das letzte Album des Hamburgers Patrice »How Do You Call It«, auf dem Don Abi als Gastvokalist vertreten ist. Andere Beispiele sind die Debütplatte der Deutsch-Südafrikanerin Joy Denalane und natürlich Xavier Naidoos Inszenierungen als Soul Brother von Gottes Gnaden.
Erfahrungen als Afro-Deutsche sind oftmals Bestandteile dieser Musik, ohne dass sie explizit benannt werden müssen. Vielmehr verschmilzt persönliche Geschichte mit der Geschichte schwarzer Musik. So stehen Patrice, Naidoo, Denalane und Don Abi, aber auch der Kölner Gentleman oder die Berliner Seeeds, für ein Gegenmodell zu den gesichts- und geschichtslosen, pseudo-multikulturellen Retortenbands, die die Plattenindustrie mit Hilfe der TV-Anstalten zusammencastet. Ob irgendwer von den No Angels oder Bro’Sis jemals seinem Sohn Fela Kuti, Marvin Gaye oder Bob Marley vorspielen wird? Für James Last könnte es vielleicht noch reichen.

Act Of Love ist bei V2 Records erschienen und bereits im Handel erhältlich.