Nachtisch #27

Miese Muscheln

 

»Trau keinem Monat ohne R«, heißt die Losung unter rheinischen Muschelessern. Aber selbst wenn diese R-Regel, wonach man Mollusken nur in Monaten mit einem »R« am Ende konsumieren solle, längst nicht mehr das Maß aller Dinge ist: Muscheln schmecken im Winter einfach besser als in der Hitze des Sommers. Das liegt an der dann geringeren Konzentration an Schadstoffen, aber natürlich auch an des Kölners liebs-tem Weichtier, der Miesmuschel. Die verzehrt er vorzugsweise auf »rheinische Art«, und das heißt: Es muss dampfen. Das klappt umso besser, je kälter es ist. Die Kollegen der Miesmuschel vom Planeten Herz und Venus kommen höchstens mit ein paar Nüdelchen auf den Teller. Mit der aristokratischen Klassensprecherin, der Auster, tut man sich hier, anders als in Frankreich, schwer. Das ist angesichts von Namen wie »Sylter Royal« auch kein Wunder, will man doch mit den oberen Zehntausend, die alljährlich die Nordseeinsel besetzen, noch nicht einmal namentlich im Bunde stehen. Der Rheinländer ist eben ein Demokrat durch und durch und hält sich an die proletarische Variante des Weichtiergenusses. 

 

In den letzten Jahren hat der Rheinländer allenfalls seine Vorbehalte gegen die Jakobsmuschel über Bord geworfen, seitdem gibt es die auch Pilgermuschel genannte Delikatesse roh aufgeschnitten oder gebraten am Stück.

 

In einem Kölner Lokal vernünftig zubereitete Miesmuscheln zu bekommen, ist dagegen gar nicht so einfach. Versuchen Sie das doch einfach mal
in den kommenden Monaten! Wasser, Wein und ein bisschen Gemüse reichen eben nicht aus. Gerade aber die Qualität der Muscheln muss stimmen, und das tut sie nicht immer. Oft bekommt man große, aber eben auch recht farb- und geschmacklose Nordsee-Tierchen. Viele Muschelfreunde schwören daher auf die kleinen, orangefleischigen weiblichen Mies-muscheln, die insbesondere an belgischen und nordfranzösischen Küsten gerne verzehrt werden. Überhaupt haben die Belgier die Miesmuschel direkt zu ihrem Nationalgericht erkoren, vorzugsweise serviert mit Pommes. Und von der rheinischen R-Regel haben sie -selbstverständlich noch nie etwas gehört.