»Es ist eine Fusion«

Der äthiopische Jazz-Star Mulatu Astatke rundet sein Lebenswerk

Er gilt als der Erfinder des Ethio-Jazz: In den späten 60er Jahren, als afrikanische Popmusik zum erstmals ein westliches Publikum erreichte, fusionierte Mulatu Astatke zeitgenössischen Jazz mit traditionellen äthiopischen Notenskalen. International bekannt wurde er, als Jim Jarmusch Astatkes Stücke für seinen Film »Broken Flowers« (2005) verwendete. Kürzlich hat der Vibrafonist sein Album »Sketches of Ethiopia« (Jazz Villa/Harmonia Mundi) veröffentlicht, auf dem er Miles Davis zitiert und sein Jazzverständnis mit traditionellen äthiopischen Instrumenten realisiert. Im Oktober spielte Astatke ein ausverkauftes Konzert in Düsseldorf, vorher konnten wir uns noch mit ihm unterhalten.

 

Herr Astatke, Sie sind jetzt 71 Jahre alt. Jim Jarmusch liebt ihre Musik, Ihr neues Album »Sketches of Ethiopia« wird weltweit veröffentlicht. Wie wahrscheinlich ist es für einen Musiker aus Äthiopien, diesen Weg zu gehen?

 

Ich hätte niemals gedacht, dass ich ein Musiker werden könnte. Als ich in Äthiopien aufwuchs, gab es dort fast nur Big Bands: vier Trompeten, fünf Saxofone und vier Posaunen. Sie haben alle möglichen Arten von Musik gespielt, manchmal auch symphonische. Das war mein erster Kontakt mit Musik in Äthiopien. Eigentlich wollte ich ein Luftfahrtingenieur werden. In Entwicklungsländern ist Musik kein verpflichtendes Schulfach, sondern wir lernen Wissenschaften. Ich bin dann in North Wales zur Schule gegangen, wo Musik ein Schulfach wie auch Chemie oder Kunst war. Dort habe ich Instrumente und Noten gelernt und meine ersten Melodien komponiert. Jeden Samstag mussten wir den Lehrern vorführen, was wir in der Woche gelernt haben. Ich war gut in Musik, meine Lehrer haben das unterstützt und so habe ich mit der Musik weitergemacht. Später habe ich dann am Berklee College Jazz studiert und von da aus bin ich nach New York gezogen und habe meine erste Jazz-Band gegründet. Ich weiß noch, wie unsere Lehrer immer gesagt haben: »Wir können euch nur die Werkzeuge zeigen, was ihr damit macht, ist eure Sache.« Also habe ich in New York den Ethio-Jazz erfunden.

Ethio-Jazz war ein neuer Stil. Wie wurde diese Musik denn angenommen?

 

Um 1966 haben Hugh Masekela, Fela Kuti und ich versucht, die Welt an afrikanische Musik heranzuführen. Mein Stil war Ethio-Jazz, Hugh hat diesen südafrikanischen, bluesigen Stil gespielt und Felas Stil war High-Life. Das war toll, aber bei den Amerikanern kam Ethio-Jazz nicht so gut an, obwohl wir sogar im Fernsehen aufgetreten sind. In Europa war das anders, die »Éthiopiques«-Compilations haben diese Musik später dort bekannt gemacht. Schließlich hatte natürlich der Soundtrack von Jim Jarmuschs »Broken Flowers« einen großen Einfluss auf die Berühmtheit von Ethio-Jazz.

Sie selbst waren da schon wieder in Äthiopien, wo sie eine Radioshow produziert haben. Was haben Sie da gespielt?

 

Mit der Radioshow habe ich versucht, die Öffentlichkeit zu bilden. Ich habe Sendungen über den Unterschied von Jazz und Jazz-Fusion gemacht, über die Verbindung von lateinamerikanischer und afrikanischer Musik, über klassische Musik: Debussy, Tschaikowsky, Beet­hoven. Es war Unterhaltung und Bildung zugleich. In der Schule konnte ich ja nur ein paar Menschen erreichen. Ich habe die Sendung sieben Jahre lang gemacht und hatte zwei bis drei Millionen Zuhörer, weil die Sendung morgens und abends lief. Eine schöne Zeit.

 

Welche Musik interessiert Sie heute?

 

Ich höre kaum noch andere Musik, weil ich nicht beeinflusst werden will. Die einzige Musik, die ich höre, ist Musik von Völkern aus dem äthiopischen Busch. Für mich sind sie wie Wissenschaftler. Sie haben einige der fantastischsten Instrumente der Welt hervorgebracht, für die sie zum Beispiel Bambus verwenden.

 

Welche Rolle spielt diese Musik auf »Sketches of Ethiopia«?

 

Es ist eine Fusion. Ich kombiniere traditionelle äthiopische und modernere Instrumente, was gar nicht so leicht ist, weil viele der äthiopischen Musiker nicht so musikalisch gebildet sind wie die anderen Musiker. Andererseits ist es aber umgekehrt für diese Musiker wieder schwer, die traditionelle äthiopische Musik zu spielen. In der äthiopischen Musik gibt es vier verschiedene Modi, die wiederum mit einer reduzierten Notenskala arbeiten. Die äthiopischen Musiker spielen zum Beispiel auf einem Schlaginstrument aus 24 Bambusstäben, aber sie tun das lediglich in dieser reduzierten, pentatonischen Skala. Und da wird es interessant. Auch Debussy hat in dieser reduzierten Notenskala komponiert, Charlie Parker hat damit den modernen Jazz erfunden. Die Frage ist: Haben Debussy und Charlie Parker das wirklich erfunden? Für mich ist diese Notenskala ein wichtiger Beitrag Äthiopiens für die Entwicklung des Jazz. Diese Menschen sind nicht einfach nur »zurückgeblieben«, sondern sie tragen zur Entwicklung der Musik bei. Wie genau sie das getan haben, das sollte man gründlichst untersuchen. Wenn wir das tun, dann kann uns das zu einer neuen Musik führen, zu anderen Kompositionsformen oder Arten, ein Ins­trument zu spielen.