»Das Fremdsein ist ein Grab«

Ulrike Janssen gelingt mit Displaced Persons

ein dichter Abend über Heimatlosigkeit

Aktuelle Themen bekommen im Theater gerne den Stempel der Authentizität verpasst. Vor allem Flüchtlingsdramen kommen selten ohne »echte« Flüchtlinge aus. Oft dienen ihre Biografien als Patzhalter für großen Themen, während sich das Theater selbst verhandelt. Nicht so an dem Abend von Regisseurin Ulrike Janssen. »Displaced Persons« heißt er — ein Verwaltungsbegriff nach dem Zweiten Weltkrieg für verschleppte Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge, die zwar in eine Heimat zurückkehren wollten, es aber aus kriegsbedingten Gründen nicht konnten.

 


Darstellerin Gerda Böken war eine von ihnen. Neben ihr auf der Bühne zwei Flüchtlinge der neuen Generation: Ounfa Cone von der Elfenbeinküste und Idris Kani aus Syrien. In sechs Kapiteln — »Im Tunnel«, »Reise«, »Parallelwelten«, »Identität«, »Fremdbleiben«, »Ankommen« — erzählen die drei, wie sie sich in die Heimatlosigkeit eingeübt haben. Den einen hält der Gedanke an die Ehefrau, die bald nachkommt, aufrecht, der andere hofft auf Rückkehr. Gerda Böken erinnert sich an Deportation und Bombenangriffe — wie sich das anfühlte, weiß sie heute nicht mehr.

 


Starke Bilder entstehen, wenn die 82-Jährige stumm und bewegungslos da sitzt, während ihre Stimme aus dem Off von ihrer lebenslangen inneren Unruhe erzählt, oder als der junge Cone sie zum Tanz bittet und damit in eine wunderbare Leichtigkeit entführt. Immer wieder wechseln szenische Aktionen mit minimalistischen Videos von Körperzellen, Wasser oder Himmel. Es geht also nicht um irgendeine Politdebatte, sondern die Inszenierung traut sich, Innenansichten sinnlich sichtbar zu machen.

 


Im Laufe des Abends mischen sich Stimmen weiterer »Displaced persons« dazu, etwa Zitate vom heimatlosen Krisenphilosophen Vilém Flusser. Das Konterfei einer Frau wird projiziert. Wir sehen, wie sie im Loop schmunzelt und hören isoliert, wie sie sich an ihren »Alien-Passport«, den »Staatenlos-Pass«, erinnert. Immer wieder trennt die Regie bewusst Ton, Bild und Darsteller. Die Distanz, die durch diese Segmentierung entsteht, ist die große Stärke der Inszenierung. Die strenge Form sensibilisiert zunehmend, man konzentriert sich ganz auf das Wort: »Das Fremdsein ist ein Grab«. Dank dieses kommentarlosen Dokumentationsstils werden solche Sätze viel mehr als nur ein Zitat in Erinnerung bleiben.