Im Tabubereich

Mit »Sexualität und Tod – AIDS in der zeitgenössischen afrikanischen Kunst«

verschenkt das Rautenstrauch-Joest-Museum ein Thema

Plastisch, zuweilen drastisch, behandeln Arbeiten von 20 KünstlerInnen aus elf afrikanischen Ländern südlich der Sahara Sexualität, HIV-Infektion, Krankheit und Tod. Konzipiert wurde die Ausstellung von Kay Schaefer, der als Arzt einige Jahre in Ostafrika lebte, bis heute tropenmedizinische Fortbildungsreisen dorthin leitet und zum dritten Mal eine Schau zeitgenössischer afrikanischer Kunst im Rautenstrauch-Joest-Museum gastkuratiert.
In vielen afrikanischen Ländern werden die Immunschwächekrankheit AIDS und ihre Ausbreitung noch immer gesellschaftlich tabuisiert. Kunst, die das Tabuthema visualisiert, schafft dagenen Freiräume, »in denen persönliche aber auch gesellschaftliche Erfahrungen mit dieser Krankheit zum Ausdruck gebracht werden können«, erklärt Schaefer ihren sozialen und politischen Stellenwert.
Für Museumsdirektor Klaus Schneider ist die Präsentationzeitgenössischer afrikanischer Kunst eine willkommene Ergänzung zu den kulturhistorischen Objekten aus dem eigenen Depot: »Über aktuelle Entwicklungen in uns weiterhin fremden Kulturen kann die Kunst oft mehr aussagen und vermitteln als andere Medien.« Die Ausstellung zeigt unkommentiert Malerei, Skulpturen, Fotos und eine Videoinstallation von Künstlern, die inzwischen internationalen Erfolg haben. Viele von ihnen leben mittlerweile in den USA und in Europa wie der Documenta-Teilnehmer Pascale Marthine Tayou. Gezeigt wird auch ein Foto des auf der letzten Biennale von Venedig gewürdigten Rotimi Fani-Kayodé, einem prominenten Opfer der Immunschwächekrankheit.
Unübersehbarer Schwerpunkt der Ausstellung sind die knallbunten Bilder fünf kongolesischer Künstler aus dem Raum Kinshasa, die wegen ihrer unverblümten Bildsprache am ehesten auf Kommentierung verzichten können. Auf den Straßen des »fröhlichen Kinshasa«, wie die Hauptstadt von seinen durchschnittlich 19 Jahre alten Bewohnern nicht ohne Stolz genannt wird, begann auch Chéri Samba seine Künstlerkarriere mit Bildern, die er in Mangobäume hängte. Inzwischen pendelt er zwischen Kinshasa und Paris, wo seine Arbeiten etwa im Centre Georges Pompidou ausgestellt sind. Wie viele andere verdiente auch Chéri Samba früher sein Geld als Maler von Schildern, die als Werbeplakate das Stadtbild vieler afrikanischer Großstädte prägen. Entsprechend plakativ sind auch die Gemälde der Kinshasa-Maler, die meist Themen aus dem städtischen Kontext behandeln und trotz ihrer deutlichen Bildsprache oftmals in Comic-Manier um Sprechblasen ergänzt sind.
Seit den 90er Jahren thematisiert Chéri Samba gesellschaftskritisch die mit HIV/AIDS im Zusammenhang stehenden sozialen Probleme. Sein Bild »Ndjombo le soir« etwa führt die Notlage vor Augen, aus der sich immer jüngere Frauen prostituieren: Mit dem wirtschaftlichen Niedergang des Landes und dem Zerfall der sozialen Strukturen hat die Gelegenheitsprostitution in den letzten zwei Jahrzehnten enorm zugenommen und zur Ausbreitung der Krankheit geführt. »Ndjombo le soir« ist, wer in letzter Minute Erfolg hat: In der Darstellung Sambas gibt der Vater seinen Töchtern bei Sonnenuntergang zu verstehen, dass er heute mit Essen dran sei, während eine seiner Töchter am Baum lehnend auf Kundschaft wartet.
»Parlons SIDA« von Cheik Ledy, Chéri Sambas Bruder, zeigt die Angst eines Kindes, als AIDS-Waise zu enden: ein Schicksal, das mittlerweile fast 13 Millionen Kinder in Afrika teilen. Aus seinen Bildern spricht die Angst und Hilflosigkeit im Umgang mit der Krankheit; besonders drastisch ist »Source sidatique«: AIDS ist als Quelle dargestellt, in die die Menschen tappen und die eine atompilzartige Wolke speist – ein Szenario wie aus einem Sciencefiction-Film in grellen, unrealistischen Farben. Die Menschen begegnen der Bedrohung mit blindem Aktionismus. Mit scheinbar unerschütterlichem Optimismus versucht ein Arzt, das Virus mit einem Holzstock zu bekämpfen. Cheik Ledy hat den Kampf verloren, er starb 1997 in Kinshasa an AIDS.
Zwischen den nicht zuletzt ihrer Größe wegen plakatartigen Kinshasa-Bildern wirken manche der anderen Kunstwerke regelrecht verloren. Symbole, etwa aus der Yoruba-Kultur, erschließen sich nicht ohne weiteres. Sie werden nicht kommentiert oder kontextualisiert.
Aus dem Zusammenhang gerissen hängt auch ein Foto zwischen den anderen Arbeiten, das eigentlich Teil der Serie »From the Inside« der südafrikanischen Künstlerin Sue Williamson ist: Anläßlich der AIDS-Konferenz 2000 in Durban porträtierte und interviewte sie AIDS-Kranke, filterte die wichtigsten Aussagen und sprühte diese als Graffiti auf Mauern, Häuser oder Brücken südafrikanischer Großstädte. Durchaus politischer Zündstoff in einem Land, dessen Präsident Mbeki HIV/AIDS am liebsten totschweigen würde. In der Ausstellung jedoch verliert sich die Aussage auf dem Foto »I’m sick of Mbeki saying HIV doesn’t cause AIDS« des AIDS-Patienten Benjamin Borrageiro.
Zusammenhanglos verhallt auch die Musik, die aus einer in die Ausstellung plazierten Stereoanlage kommt: Dass verschiedene Musiker wie Papa Wemba, Omar Pene oder Cheb Mami einen Text interpretieren, in dem ein AIDS-Toter betrauert wird, erschließt sich Ausstellungsbesuchern nicht. Der spezifisch gesellschaftlichen Relevanz dieser Kunst, die das Tabuthema AIDS in Afrika in den Blick rückt, wird die schlichte Präsentation nicht gerecht. Für die Differenzierung von Ursachen und Problemen oder gar Strategien, mit denen die Künstler das Thema visualisieren, bleibt kaum Raum.

Info
Rautenstrauch-Joest-Museum, Ubierring 45, di-fr 10-16, sa-so 11-16 Uhr, bis 25.1.04.
Rahmenprogramm: Vortrag von Henning Machein: »Von ›Perversen Europäern‹ und ›Trojanischen Kondomen‹«, 7.12., 11.30 Uhr; Führungen 14.12., 18.1., 25.1., 14.30 Uhr, 16.1., 20 Uhr, ab 21.30 Uhr Globalizer-Party.