Vom Glück der Arbeit und der Arbeit am Glück

»Was machen Sie denn eigentlich?« Wer so gefragt wird, reagiert in der Regel reflexhaft mit der Nennung seines Arbeitsplatzes, insofern sie oder er einen hat. Niemand käme auf die Idee, sein Hobby zu nennen. Die ausgeübte Erwerbsarbeit wird als wesentliches Persönlichkeitsmerkmal aufgefasst. Wer keinen Job hat, hat daher nicht nur finanzielle Probleme, sondern in unserer Arbeitsgesellschaft auch kein anerkanntes Identitätsmodell. Die psychische Belastung Arbeitsloser ist meist ebenso gewichtig wie die finanziellen Problemen.

Trotz zeitweilig erfolgreicher Modelle der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit ist das grundsätzliche Paradox nicht zu übersehen: In den Industrienationen macht der technologische Fortschritt immer mehr Arbeitsplätze überflüssig und ermöglicht dadurch eigentlich immer mehr selbstbestimmte Zeit. Trotzdem nimmt das Elend zu. Immer mehr Arbeitsplätze werden benötigt, weil sich nach herrschender Denkweise nur so Armut und Verelendung beheben lassen. Vor diesem Hintergrund rechtfertigt sich nahezu jede Unternehmung damit, dass sie angeblich Arbeitsplätze schafft. Was aber ist, wenn man unsere Arbeitsgesellschaft von außen betrachtet und die Grundsätze, auf denen dieses System der Arbeit aufbaut, in Frage stellt?

Im folgenden Text unserer Serie »Zukunft der Arbeit« untersucht die Soziologin Stefanie Duttweiler die Verknüpfung von Arbeit und Glück, wie sie aktuelle Lebenshilfe-Ratgeber behaupten. Selbstbestimmung wird in diesen höchst populären Büchern eingeordnet in ein Schema von beruflichen Erfolgen und Niederlagen. Glück scheint nur erreichbar durch eine ständige Selbst-Verbesserung im Sinne der Arbeit.



Der Mensch ist von Natur aus auf Leistung und Anstrengung programmiert und wird dafür mit Lust belohnt. Nur wer aktiv ist, sich anstrengt und etwas leistet, macht die Erfahrung des flow«. Der Verhaltensbiologe Felix von Cube weiß es, und viele andere wissen es auch: Arbeit macht glücklich. Nur manchmal, so glauben sie, macht Arbeit auch unglücklich – nämlich wenn sie keine Herausforderungen bietet und ohne rechte Motivation ausgeführt wird, wenn man sich nicht ›einbringen‹ kann und die eigenen Leistungen keine Anerkennung finden. Manchmal – wenn Beruf- und Privatleben aus dem Lot geraten – kann sie auch zum Zustand totaler Erschöpfung führen.
Doch so weit muss (und darf !) es gar nicht kommen – unzählige aktuelle Ratgeber lehren unzähligen Lesern und Leserinnen, nicht trotz der Arbeit, sondern auch und gerade weil sie arbeiten glücklich zu werden. Die allgegenwärtigen Ratgeber zum »sinnvollen Selbstmanagement« (Seiwert) machen plakative Vorgaben, wie das Verhältnis von Arbeit und Leben bzw. Arbeit und Glück auszusehen habe. Ihre vermeintlichen Wahrheiten, die sie mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen aus Verhaltensbiologie, Neurologie oder Psychologie sowie ökonomischen Managementtheorien zu untermauern suchen, informieren heute das Alltagswissen vieler. Es lohnt sich daher ein Blick in diese Bücher mit dem großen Versprechen: »Warum unglücklich sein, wenn man glücklich sein kann? ... Wer das in diesem Buch vermittelte Wissen anwendet, erlangt Herrschaft über sein Leben. Er erleidet kein Schicksal, sondern er gestaltet es.« (Joseph Murphy)

Glück und Arbeit - ein Gegensatz?

Lange Zeit stand das Ideal des Glücks dem bürgerlichen Arbeitsethos gegenüber – so diente der Begriff des Glücks beispielsweise Kritikern und Utopisten als Korrektiv der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Das, so meine These, hat sich seit den 1970er Jahren im Gefolge des Diskurses um Selbstverwirklichung und mit den vervielfältigten Möglichkeiten einer selbstbestimmten Berufswahl radikal verändert: Aus dem Gegensatz ist eine sich gegenseitig stützende Kooperation geworden – Arbeit macht glücklich und Glück bedarf umfassender Arbeit. Um zu dieser Partnerschaft zu finden, haben sich die gesellschaftlichen Vorstellungen und Vorgaben über beide Elemente dieser Verbindung gewandelt: Arbeit wird nicht mehr als Entfremdung gedeutet, sondern als Möglichkeit zur Aktivierung persönlicher Potenziale, und Glück gilt nicht mehr als Geschenk des Himmels, sondern versteht sich als Resultat eigener Anstrengungen.
»Erstaunlicherweise ist Arbeit leichter zu genießen als Freizeit. Die Arbeitswelt enthält eingebaute Ziele, Regeln und Herausforderungen«, heißt es im Bestseller »Simplify Your Life«. Arbeit soll der Selbstverwirklichung und der Verwirklichung von »Visionen« dienen und Antworten auf Fragen nach dem »Sinn im Leben« geben. Auch der »Life-Leadership«-Guru Lothar Seiwert lässt keinen Zweifel: Arbeit ist elementar für ein »Leben in Balance« – ohne Arbeit gerät das Leben aus den Fugen. Dass man auch ohne Arbeit glücklich werden kann, scheint absolut ausgeschlossen – sie gilt als Quelle von Zufriedenheit, Selbstbewusstsein und Stolz, soll persönlichen Wert und Anerkennung vermitteln. Braucht man mehr zum glücklich sein?

»Persönliche Höchstleistung macht Freude«

Die Gleichung ist einfach: Arbeit ist eine optimale Basis für ein erfüllendes, glücklich machendes Leben.
Doch Arbeit kann nicht nur auf lange Sicht, sondern auch im Moment glücklich machen. Hier lässt sich ein nie gekannter Rausch erfahren, »ein Konglomerat verschiedener Gefühle: Stolz, Freude, Begeisterung, Erregung, Aggressivität, ein positives Selbstwertgefühl, Euphorie« (Reymann). Andere AutorInnen benennen diesen Zustand genauer: Stress. Doch als so gefährlich und gesundheitsschädlich Stress auch gilt, betont wird dessen glücksfördernde Wirkung. »Stress«, führt Lothar Seiwert aus, »aktiviert zu Höchstleistungen. Er treibt Körper und Geist an. Er ist Voraussetzung für Flow.«. Flow meint ein selbstvergessenes »Fließen«, das einem leichten Rausch ähnelt: Derart in eine Tätigkeit vertieft zu sein, dass nichts anderes eine Rolle spielt. Er entsteht, »wenn wir unsere Fähigkeiten voll einsetzen, um eine Herausforderung zu bestehen, die wir gerade noch bewältigen können« (Czikszentmihalyi). Und wo gäbe es größere Herausforderungen als im täglichen Konkurrenzkampf?
Arbeit als Quelle des Glück zu betrachten bringt die Beziehung zwischen Arbeit und Glück auf die Kurzformel: »Persönliche Höchstleistung macht Freude« (Flemming). Die Prägnanz dieser Formel drängt den Umkehrschluss geradezu auf: Freude fördert persönliche Höchstleistung. »Sei glücklich – Gib deinem Leben neuen Schwung« (Trixner). Glück dient hier als Kraftstoff, der das antriebs- und erfolglose Leben mit neuer Energie versorgen kann. Eine Vitalität, die nicht nur glücklich machen soll, sie lässt sich vermeintlich direkt in finanziellen Erfolg verwandeln: »Wer Glückserlebnisse bei der Arbeit hat, wird seine Arbeit hervorragend tun, so dass er früher oder später auch finanziell und prestigemäßig davon profitiert«. (Küstenmacher)

Glück ist leistungssteigernd

Glück – so lässt sich knapp zusammenfassen – stimuliert die vorhandenen Leistungspotenziale und ist so eine unverzichtbare Ressource für erfolgreiches und diszipliniertes Arbeiten. »Wer das High spürt, arbeitet leidenschaftlich bis zur Erschöpfung.« (Reymann). Ein Zusammenhang, der sich optimal für erfolgsorientierte Führung nutzen lässt.
So schreibt Felix Cube in seinem Buch für Manager »Lust an Leistung«: Der größte Führungsfehler sei es, wenn die Führungskraft alle Lust für sich selbst abschöpft, statt »Flow« für alle zu organisieren. Denn, so stellt er drohend fest: »Lustabschöpfung in der Wirtschaft führt zu Flucht in die Freizeit, zu innerer Emigration, zum Klassenkampf.« Die Anweisung ist klar: Es gilt, die Arbeitsleistung mittels der stimulierenden Wirkung des Glücks zu effektivieren – unabhängig davon, ob man Führungskraft in einem Betrieb oder Manager seiner Selbst ist.
Klar ist aber auch: Den Wünschen der Beschäftigten nach Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung, nach Herausforderungen und »Flow« oder der Befriedigung sozialer Bedürfnisse nach Anerkennung und Freundschaft wird nicht aus reiner Menschenliebe statt gegeben. Sie erweisen sich als Kriterien ökonomisch effizienter Arbeitsorganisation: Zum einen steigern sie die Leistungsbereitschaft und den Arbeitserfolg, und zum anderen verlagern sie die Verantwortung für den ökonomischen Erfolg vom Unternehmer auf die Beschäftigten. Selbstverwirklichung und Autonomie erweisen sich somit als persönlich verlockend und zugleich als ökonomisch wünschenswert.

»Lustabschöpfung führt zu Klassenkampf«

Will man leistungsfähig sein und bleiben, wird einem dringend angeraten, für sein Glück zu sorgen. Und das bedeutet, wie ein findiger Unternehmer keine Gelegenheit zum Glück auszulassen und mit Hilfe verschiedenster Techniken aktiv dafür zu sorgen, dass es zielsicher eintritt. Die Techniken sind schnell zusammengefasst: Ziele formulieren, Pläne ausarbeiten und umsetzen, ständig lächeln, interessanten Hobbys und einer erfüllenden Arbeit nachgehen, Freundschaften und den Körper pflegen und vor allem: der systematische Umbau der Gefühle und Gedanken hin zum »Positiven«. Unabhängig davon, was man tut, es kommt darauf an, wie man es tut. »Wenn Du an Deinem Arbeitsplatz bist, genieße die Arbeit. Was ist schlimm an der Arbeit? Gar nichts. Erledige all deine Arbeit mit Liebe und Hingabe und genieße sie.« (Barkmann)
Die Lektion ist unmissverständlich: Wer glücklich werden will, muss lernen, sich umfassend selbst zu führen. Er (und dezidiert auch sie) soll vom »Lebens-Konsumenten zum Lebens-Unternehmer« (Seiwert) werden, das Schicksal nicht erleiden, sondern es »gestalten« (Murphy), um zum »pro-aktiven« »Unternehmer seiner selbst« zu werden. Die Verheißung, sein Leben zu gestalten, bedient jedoch nicht nur den Wunsch nach subjektivem Glück – Selbst-Unternehmer sein gerät aktuell zur unabweisbaren Forderung: »Die modernen Unternehmen erwarten von ihren Mitarbeitern, dass sie ›Selbst-Unternehmer‹ werden. Sie sollen mehr Flexibilität, Risikobereitschaft und Eigenverantwortung ... zeigen. Sie sollen sich wie Unternehmer selbst managen, um für den Arbeitsmarkt attraktiv zu bleiben« (Seiwert). Das, so expliziert der Ratgeber »Life-Leadership« weiter, bedeutet »nicht nur, dafür Sorge zu tragen, dass wir fachlich up to date sind ... [Es wird] unsere Aufgabe sein, dafür zu sorgen, dass wir fit und gesund sind und unsere Leistungskraft gewahrt bleibt, unser Familien-/Privatleben so geordnet ist, dass unsere Flexibilität und Mobilität gewahrt bleibt und es nicht unsere Arbeitskraft beeinträchtigt, und uns nicht eine Sinnkrise packt, die unsere Leistungskraft mindert.«

Ist Glück ein Herrschaftsinstrument?

Glück ist also kein reines Privatvergnügen – sich selbst zu führen, seine privaten Verhältnisse zu ordnen und mit sich zufrieden zu sein, ist erste Bürgerpflicht. Leichter zu erfüllen ist sie, wenn man sich dabei glücklich fühlt. Im Modus einer unternehmerischen Selbstführung stehen Glück und Arbeit nicht mehr in Frontstellung zueinander, sie sind sich gegenseitig Voraussetzung und Produkt. So verbindet sich der Wunsch nach Glück und Selbstbestimmung mit dem äußeren Druck neoliberaler Arbeitsorganisation: Dezentralisierung und Projektarbeit, ergebnisorientierte Arbeitsformen, neue Arbeitzeitmodelle oder die Ausstellung von Werk- statt Arbeitsverträgen führen zu Individualisierung, Entstandardisierung und Flexibilisierung. Eigeninitiative und Selbstorganisation werden nicht nur belohnt, sondern zunehmend vorausgesetzt. Selbstverwirklichung und Autonomie erweisen sich dabei ebenso als persönlich verlockend wie auch als ökonomisch wünschenswert.
Ist Glück damit ein perfides Instrument der Herrschaft geworden? Zumindest erweisen sich die gewonnenen Gestaltungsfreiheiten und Glücksmöglichkeiten wenn nicht als fatal, so doch als janusköpfig. Wo Arbeit zum Glück und Glück zur Arbeit wird, da verwischen die Grenzen zwischen Fluch und Segen. Sind wir, wie es Pascal Bruckner provozierend feststellt, »Verdammt zum Glück?«

Stefanie Duttweiler arbeitet derzeit an ihrer Promotion in Soziologie über Selbsttechnologien in Glücksratgebern und ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Wissenschaftsforschung/ Wissenschaftssoziologie an der Universität Basel.

Untersuchte Ratgeber
Barkmann, Kim: Werde Glücksbringer! Sieben Schlüssel zu den Türen deiner Kraft. Bochingen 1998
Cube, Felix von: Lust an der Leistung. Die Naturgesetze der Führung, München/Zürich 2002
Czikszentmihalyi, Mihaly: Lebe gut! Wie Sie das Beste aus Ihrem Leben machen, Stuttgart 1997
Flemming, Michael: Man muss nicht schlecht sein, um besser werden zu wollen. Persönliche Höchstleistung macht Freude, Metropolitan 2001
Küstenmacher, Werner Tiki: Simplify your life. Einfacher und glücklicher leben, Frankfurt/M./New York 2001
Murphy, Joseph: Dein Recht auf Glück. Der Triumph des positiven Denkens, München 2000
Niven, David: Die 100 Geheimnisse glücklicher Menschen. München 2000
Seiwert, Lothar: Das Bumerang-Prinzip. Mehr Zeit fürs Glück, München 2002
Seiwert, Lothar: Life-Leadership. Sinnvolles Selbstmanagement für ein Leben in Balance. Frankfurt/New York 2001

Literatur
Bruckner, Pascal: Verdammt zum Glück. Der Fluch der Moderne. Ein Essay, Berlin 2001
Reymann, Christiane: »Superglückliche Malocher. Tischkicker und Ringe unter den Augen – arbeiten bei einer Internetfirma«, in: Manfred Moldaschl; Günter G. Voß (Hrsg.): Subjektivierung von Arbeit, München/Mering 2002, S. 298-302