Nachtisch#28

Kritik der Glühweinkritik

Manch einer stellt bei einem Drink seinen Geschmackssinn bereitwillig hintan, solange der Alkoholgehalt im zweistelligen Prozentbereich liegt. Rin in dä Kopp, et darf nit schmecke, wie man in Köln sagt. Doch ist das eine hinreichende Erklärung für den Zulauf, den Glühweinstände auf Weihnachtsmärkten alle Jahre wieder verzeichnen? Nur zum Teil. Denn erstaunlich bleibt doch, dass die fundamentale Glühwein-Kritik (»Touri-­­Plörre!«) ebenso verbreitet ist. Nur, wie aufklärerisch ist eine Kritik des Glühweins, wenn sie sich nur auf die schaurigsten Fehlleistungen kapriziert?

 

Ein besserer Glühwein ist möglich. Zuallererst müsste der Glühwein der saisonalen Zuordnung entzogen werden. Warum können wir ihn nur im winterlichen Nieselregen trinken und nicht auf der Frühlingswiese? Dass Getränke einen möglichst großen Temperaturunterschied zur Umgebung aufweisen sollen, ist ein leider verbreiteter Aberglaube. Dann: Man muss guten Wein nehmen, koste er, was er wolle! Auch wenn’s schwerfällt, einen ordentlichen Spätburgunder dafür zu opfern. Der eignet sich gut, denn — Hand aufs Herz — schmecken nicht selbst die ­besseren Qualitäten von der Ahr mit ihren prägnanten Marmela­de-Aromen wie Glühwein auf Zimmertemperatur?

 

Und wenn man den Wein schon — wir wollen nichts beschönigen — verschandelt, dann bitte auf interessante Weise. Neben Anis, Kardamom, Koriander, Lorbeer, Nelken, Orange, Piment, Zimt können das auch Muskat und Thymian sein. Experimente müssen möglich sein, solange man den Wein danach noch schmeckt. Das Unwichtigste ist, wie so oft, der Zucker! Das Wichtigste ist, dass der Glühwein nicht zu heiß serviert wird. Wer das verinnerlicht hat, erhebt den Glühwein sogleich über viele heiße Fer­keleien wie etwa Feuerzan­genbowle. Und so ist Glühwein eigentlich ein Cocktail. Wo aber sind die Barkeeper, die diese Herausforderung annähmen? Gehörte nicht eine zivilisierte Form des Glühweins ebenso in ihr progressives Programm wie Gin, den sie mit Dillsirup versetzen? Wer traute sich? Wir dürfen den Glühwein nicht den Schurken auf den Weihnachtsmärkten überlassen! Bisweilen muss man interessante Ideen vor ihren größten Anhängern retten.