»Wenn man aufhört zu schreien, kann man anfangen zuzuhören«

Stummer Widerstand gegen islamistischen Terror: Abderrahmane Sissako über seinen Film »Timbuktu« und die richtige Balance zwischen Tragödie und Komödie

Wie konnte es 2012 in Mali dazu kommen, dass große Gebiete von islamistischen Terrorgruppen besetzt wurden?

 

Der nördliche Teil Malis besteht aus Wüste, Niemandsland. Das begünstigte die Ansiedlung von Gruppen mit unguten Absichten: Wir reden über Drogen- und Zigarettenschmuggler und Menschen, die reich wurden mit Entführungen und Erpressungen. Nach und nach kamen dann auch die Terroristen. Sie hatten wenig Widerstand zu fürchten: Mali ist ein großes Land mit einer schwachen Zentralregierung. Und nachdem sie die Wüste erobert hatten, rückten sie langsam in Städte wie Timbuktu vor.

 

Wie ist die Situation jetzt vor Ort?

 

Sie leben seit drei Jahren ja wieder in Ihrem Geburtsland Mauretanien, das an Mali grenzt. Nach der Intervention der französischen Armee und der Befreiung Timbuktus Anfang 2013 sorgen momentan UN-Truppen für die Sicherheit. Für meinen Film interessierte mich aber nicht die Befreiung der Stadt durch das Militär, sondern der stumme Widerstand der einfachen Leute.

 

Die Stille fällt in Ihrem Film sofort auf. Für einen Film, in dem es
um Eroberung geht, um Gewalt, um Widerstand, ist »Timbuktu« erstaunlich ruhig. Was ist Ihre Absicht dahinter?

 

Wenn man sich in einer Situation befindet, die völlig inakzeptabel ist, in der es keine Rückkehr zur Normalität mehr geben kann, ist man gewissermaßen gezwungen, sich sehr ruhig und besonnen zu verhalten. Das ist wie bei einem Paar: Wenn man sich heftig streitet und an einem Punkt angekommen ist, wo es nicht mehr weitergeht, kann man eigentlich nur noch sehr ruhig werden. Denn erst wenn man aufhört zu schreien, kann man anfangen zuzuhören und zu verstehen.

 

Ist Ihr Film damit auch ein bewusster Gegenpol zum Alltag der Berichterstattung über Konfliktzonen und Kriege?

 

Heutzutage herrscht im Fernsehen und in den Zeitungen ein enormer Druck, Ereignisse zu Spektakeln zu machen. Nachrichten bleiben an der Oberfläche und trivialisieren damit die Gewalt und die Grausamkeiten. Sie entfernen die Menschen von dem, was passiert. In der künstlerischen Arbeit geht es genau um das Gegenteil. Man versucht, wirklich in die Tiefe zu gehen und nach dem menschlichen Aspekt zu suchen — auch bei den Barbaren. Denn den gibt es. 

 

Überraschenderweise hat Ihr Film auch einige komische Momente. Wie findet man dabei den richtigen Ton?

 

Die Balance zwischen Komödie und Tragödie ist sehr wichtig. »Timbuktu« wäre ja nicht auszuhalten, wenn er nur aus Gewalt und Drama bestünde. Es ist wichtig, dass der Zuschauer auch mal lachen kann. Man muss dem Publikum den Raum und die Zeit geben, ab und an durchzuatmen. Das geht mit Humor, aber eben auch mit Stille. Man hilft so dem Zuschauer, etwas zu verdauen, was er sonst von einem Film nicht gewohnt ist. Aber beim Filmemachen geht es in allen Bereichen und Abteilungen um eine Balance: bei der Musik, beim Schnitt, selbst bei den Bewegungen der Kamera. Man muss versuchen, eine Harmonie aller Elemente zu erreichen.

 

Die extreme Gewalt der islamistischen Terroristen wird eigentlich nur kurz bei einer Auspeitschung und in einer Steinigungsszene gezeigt, die fast abstrakt wirkt. Ganz offensichtlich haben Sie sich viele Gedanken darüber gemacht, wie man sie inszeniert.

 

Mir war sehr schnell klar, dass es gefährlich ist, Gewalt einfach so beiläufig zu zeigen. Die Länge von Gewaltszenen hat auch nichts mit ihrer Wirkung zu tun. Ich wollte, dass die grausamen Bilder möglichst stark sind und im Gedächtnis der Zuschauer nachwirken, denn das ist für mich die einzige sinnvolle Art, Gewalt zu zeigen: Sie muss dich auch nach dem Film noch beschäftigen. Daher habe ich diese besondere Art der Choreographie in dieser Szene gewählt.

 

Eine andere sehr ergreifende, geradezu poetische Sequenz ist die, in der eine Gruppe Jungs Fußball ohne Ball spielt, weil die Islamisten das Spiel verboten haben. Was wollten Sie damit zeigen?

 

Natürlich, dass es absurd ist, Fußball zu verbieten. Aber ich wollte es auf eine filmische Art tun. Einen Gerichtsprozess zu zeigen oder einen Richter, der den Leuten verbietet, Fußball zu spielen, wäre nicht so wirkungsvoll. Ich habe viel über die Sequenz nachgedacht. Sie berührt mich auch sehr. Ich glaube, es ist wichtig zu verstehen, warum sie offenbar alle Menschen so emotional packt. Aber es ist nicht meine Aufgabe, das zu erklären. Das muss jeder Zu-schauer für sich selber ergründen.

 

In der Handelsstadt Timbuktu leben schon immer viele Volksgruppen nebeneinander. Spiegelt der Konflikt im Film zwischen der Tuareg-Familie in der Wüste und dem Fischer am Fluss, der den Bella oder Bozo angehört, ethnische Spannungen, die schon lange vor dem Einmarsch der Islamisten vorhanden waren?

 

Nein, mir geht es da ganz allgemein um den typischen Konflikt zwischen Land und Wasser, zwischen Fischern, Bauern und Hirten. In Europa sind diese Interessenskonflikte durch die Industrielle Revolution in Vergessenheit geraten, aber das ist eigentlich eine ganz elementare Sache.

 


Abderrahmane Sissako

Sissako wurde 1961 in Mauretanien geboren, wuchs aber in Mali auf. In den 80er Jahren studierte er am Gerassimow-Institut für Kinematographie in Moskau. Anfang der 90er zog er nach Paris. 2003 gewann sein Film »Heremakono« den Hauptpreis beim wichtigsten afrikanischen Filmfestival, dem Fespaco in -Ouagadougou. »Timbuktu« lief im Wettbewerb der diesjährigen Filmfestspiele von Cannes und gewann dort unter an--derem den Preis der Ökumenischen Jury.